Der Baum des Lebens
großartigen Handwerker, die im richtigen Augenblick die richtige Bewegung machen konnten? Warum eigentlich sollte man diesem Hünen nicht vertrauen, der keinen einzigen Fehler begangen hatte, seit er den Thron bestiegen hatte?
Khemenu, die »Stadt der Ogdoade«, der Bruderschaft der acht Schöpfungsmächte, war zugleich Hauptstadt des Hasengaus und Lieblingsaufenthalt des Gottes Thot. Als Meister der Hieroglyphen, der »Worte Gottes«, bot er den Initiierten die Möglichkeit der Erkenntnis. Indem er sich durch die Mondsichel offenbarte, dem sichtbarsten Symbol für Tod und Auferstehung, bestand er darauf, dass der Akt des Schneidens notwendig war, fern aller Lauheit und Kompromisse. Der Schnabel des Ibis, Thots Vogel, suchte nicht: Er fand.
Ägypten ohne die Kontrolle über diese Provinz gerecht regieren zu wollen, war illusorisch. Sesostris stand nun kurz davor, sein Werk zu vollenden.
»Erlaubt, dass ich Euch begleite, Majestät«, sagte Sobek der Beschützer.
»Das wird nicht nötig sein.«
Auf dem Fluss war kein Kriegsschiff zu sehen. Im Hafen kein einziger Soldat.
»Unglaublich«, murmelte Sehotep. »Hat uns Fürst Djehuti etwa auch den Gefallen getan zu sterben?«
Ohne Hast und Eile legten die Schiffe des Pharaos an, als gäbe es zwischen den Ankommenden und den Verantwortlichen im Hafen von Khemenu keinerlei Feindschaft.
Als die Landebrücke ausgefahren war, erschien unten ein magerer Mann mit ernster Miene.
Er entrollte einen Papyrus, der mit vielen Hieroglyphen beschrieben war. Und eine einzige Gestalt war darauf zu sehen, die nur sehr selten dargestellt wird: ein sitzender Osiris mit seiner Auferstehungskrone, der das Szepter der Macht und den Schlüssel zum Leben in der Hand hielt. Über seinem Thron das Symbol für unendlich viele Jahre. Um ihn herum Feuerkreise, die die Weltlichen von ihm fern hielten.
»General Sepi… Ein Glück, du bist wohlbehalten zurück aus Asien.«
»Es war keine leichte Aufgabe, Majestät, aber ich konnte mir die Zwistigkeiten der Stämme und Clans zunutze machen.«
»Nachdem du gerade erst dem Goldenen Kreis von Abydos beigetreten warst, hätten wir dich auch nur sehr ungern verloren.«
»Dank dieser Initiation sind Leben und Tod so anders geworden, dass man Prüfungen auf ganz veränderte Weise angeht.«
Zum Erstaunen der königlichen Seeleute umarmten und küssten sich der Pharao und sein Bruder im Geiste.
»Zu welchem Schluss bist du gekommen, Sepi?«
»Wir haben Asien im Griff. Unsere Truppen in Sichern haben den Widerstandsgeist der Kanaaniter erstickt. Sie werden gerecht behandelt und haben genug zu essen. Ein paar von ihnen sehnen sich zwar noch nach einer seltsamen Person, dem Propheten, aber mit seinem Verschwinden sind anscheinend auch seine Anhänger verschwunden. Trotzdem dürfen wir nicht unvorsichtig werden und müssen weiter auf der Hut sein. Diese ganze Gegend muss strengstens überwacht werden. Vielleicht sollten wir unsere Truppen dort auch verstärken. Ich befürchte eine Zunahme des Widerstands, der in der Lage ist, in verschiedenen Städten für Ärger zu sorgen.«
»Deine Meinung ist mir äußerst wichtig, Sepi. Wie sieht es mit dieser Provinz hier aus?«
»Ich bin erst seit gestern zurück. Djehuti wirkt irgendwie verändert! Er ist fröhlich, entspannt und lebenslustig.«
»Hat er den Befehl erteilt, mich anzugreifen?«, wollte der Pharao wissen.
»Nein. Er hat mir lediglich anvertraut, dass er eine Überraschung für Euch hat und darum bittet, Euch allein, unbewaffnet und ohne Soldaten empfangen zu dürfen.«
»Konntest du ihn etwa überzeugen, dass eine blutige Auseinandersetzung vermieden werden sollte?«
»Da bin ich mir nicht so sicher, Majestät. Seit ich in Djehutis Diensten stehe, habe ich immer wieder versucht, ihn mit kleinen Andeutungen von der Sinnlosigkeit seiner Haltung zu überzeugen. Es wäre hochmütig, wollte ich behaupten, es wäre mir gelungen.«
»Auf wen hören seine Soldaten?«
»Auf ihn, nicht auf mich.«
»Nun gut, sehen wir uns einmal diese Überraschung an.«
Auf dem Weg zu Djehutis Palast bildeten die Truppen und die Jugendlichen der Provinz ein Ehrenspalier und winkten mit Palmblättern.
General Sepi war darüber genauso erstaunt wie Sesostris, den er in den Sitzungssaal geleitete.
Schön gekleidet und aufwendig geschminkt, empfingen sie die drei Töchter von Djehuti mit ihrem anmutigsten Lächeln und verneigten sich vor dem Pharao.
Ihr Vater, der in einen knöchellangen Mantel gehüllt war,
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