Der Baum des Lebens
der Fürst des Gazellengaus, der Verbrecher ist, der den Lebensbaum bedroht.«
»Die Gazelle ist ein Tier von Seth, dem Mörder von Osiris«, erinnerte Sehotep. »Nach allem, was wir wissen, schreckt Chnum-Hotep vor nichts zurück, wenn es um die Verteidigung seines Gebiets geht.«
»Er stammt aus einer sehr alten Familie«, erklärte Djehuti, »und legt allergrößten Wert auf seine Unabhängigkeit. Und er ist grundsätzlich nicht bereit zu verhandeln. Außerdem sind seine Truppen mit Sicherheit die besten von ganz Ägypten. Die Soldaten werden regelmäßig und gründlich ausgebildet, verfügen über erstklassige Waffen und sind auf ihren Herrn eingeschworen, auf den wiederum niemand Einfluss nehmen kann. Um ehrlich zu sein: Selbst der Erfolg, den Majestät jetzt für sich verzeichnen kann, dürfte ihn kaum beeindrucken. Hat er das Gefühl, dass er allein gegen den Rest der Welt steht, macht ihn das nur noch entschlossener. Und da er eine große Führernatur ist, werden sich seine Leute mit aller Kraft für ihn schlagen.«
»Unter diesen Umständen stimme ich für einen groß angelegten Angriff«, meldete sich General Nesmontu zu Wort.
»Die Einheit Ägyptens auf einem Haufen ägyptischer Leichen zu feiern, ist nicht gerade die beste Lösung«, widersprach Djehuti.
»Ich fürchte, wir haben keine Wahl«, beharrte Nesmontu. »Der Pharao kann nicht dulden, dass ihm Chnum-Hotep die Stirn bietet und die Sicherheit des Bauwerks aufs Spiel setzt, an dem er arbeitet.«
Schweren Herzens mussten alle einsehen, dass man sich auf eine Auseinandersetzung einzurichten hatte, deren Gewalttätigkeit unauslöschliche Spuren hinterlassen würde.
»Da es sich hierbei nicht um einen Angriff auf ein fremdes Land handelt, müssen wir Chnum-Hotep keine Kriegserklärung schicken«, überlegte Nesmontu. »Meiner Ansicht nach ist es eine Sache der Ordnungskräfte, die dazu gedacht ist, für Ruhe und Ordnung auf ägyptischem Gebiet zu sorgen. Dementsprechend wäre ein Überraschungsangriff die logische Folge.«
Weder General Sepi noch einer der anderen Ratsteilnehmer hatten dagegen etwas einzuwenden.
»Dann lasst uns die notwendigen Vorbereitungen treffen«, ordnete Sesostris an. »Bei dem Festmahl wurde der Name eines Schreibers erwähnt – Iker. Hat er hier gelernt?«
»Er war mein Schüler«, gab Sepi zu, »und zwar bei weitem der beste in meiner Gruppe.«
»Das ist auch der Grund, weshalb ich ihm sehr bald verantwortungsvolle Aufgaben übertragen habe«, fügte Djehuti hinzu. »Er hat mit erstaunlichem Geschick die Beförderung des Standbilds abgewickelt und hätte wahrscheinlich bald die Leitung der örtlichen Verwaltung übernommen.«
»Warum ist er dann weggegangen?«, fragte Sesostris.
Djehuti stand auf. »Ich bin nicht würdig, diesem Rat anzugehören, Majestät, weil ich einen schweren Fehler zu Eurem Nachteil begangen habe.«
»Erkläre mir, worum es geht, und lass dann mich urteilen.«
Der Provinzherr wirkte gealtert und setzte sich wieder. »Iker ist ein gequälter Junge, der nicht aufgehört hat, Fragen zu stellen, nachdem er viele Prüfungen durchmachen musste, die seine Seele nicht unbeschadet überstanden hat. Er war auf der Suche nach zwei Seeleuten, Schildkröten-Auge und Messerklinge, die für eine kurze Zeit in Khemenu Halt gemacht hatten. Eine Angelegenheit, die ich aus meinen Archiven gestrichen habe, weil sich ihr Schiff auf das Siegel des Pharaos berief, das ich damals nicht anerkennen wollte. Für mich schien ganz klar, Majestät, dass diese beiden Leute nur zu Eurem Schiffsverband gehören konnten, und diesen Gedankengang habe ich Iker auch nicht verheimlicht.«
»Wegen Euch betrachtet dieser Schreiber den Pharao jetzt als seinen Feind«, sagte Sehotep.
»Mit Sicherheit.«
»Hat er Rachegelüste?«
»Auch das ist sicher. Ich habe versucht, ihn dazu zu überreden, die Vergangenheit zu vergessen und weiter für mich zu arbeiten, aber seine Entschlossenheit war durch nichts zu erschüttern. Dieser Junge ist ebenso klug wie mutig, und er könnte ein ernst zu nehmender Gegner werden, weil er – wegen mir – überzeugt ist, dass der Pharao für sein Unglück verantwortlich ist.«
»Was ist ihm eigentlich zugestoßen?«
»Das weiß ich nicht. Vermutlich hat man ihm aber nach dem Leben getrachtet.«
»Wo wollte dieser Iker denn hin?«
»Nach Kahun, um dort nach Hinweisen oder Beweisen zu suchen, die die Wahrheit ans Tageslicht bringen können.«
»Er hat immer wieder neugierige Fragen nach dem
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