Der Baum des Lebens
Ihr dabei nicht vielleicht an einen Messergriff gedacht, auf dem der Name eines Schiffs steht?«
Heremsaf wirkte überrascht.
»Und stimmt es, dass die wichtigste Schiffswerft der Gegend zu Eurem Verantwortungsbereich gehört?«, fuhr Iker fort.
»Da täuschst du dich jetzt aber! Der Baumeister aus Fayyum ist dafür zuständig.«
»Bei dem Messergriff täusche ich mich aber nicht?«
»Wonach genau suchst du eigentlich?«
»Natürlich nach Maat.«
»Maat wirst du aber kaum finden, indem du den Archivar anlügst!«
»Wenn Ihr Euch nichts vorzuwerfen habt, gebt mir die Erlaubnis, in den Archiven zu suchen.«
»So einfach ist das nicht, das steht nicht allein in meiner Macht. Es gibt mehrere Abteilungen, der Stadtvorsteher ist der Einzige, der einem Zugang zu allen verschaffen kann. Hör mir zu, Iker, du bist gerade sehr erfolgreich, aber du hast nicht eben viele Freunde. Deine Zuverlässigkeit und deine Fähigkeit sprechen für dich, aber ausgezeichnete Arbeit allein reicht nicht für eine steile berufliche Laufbahn. Meine Unterstützung ist für dich sehr wichtig, und ich gebe sie dir, weil ich an deine Zukunft glaube. Wenn du willst, vergesse ich diese Ungeschicklichkeit, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sich dergleichen nicht wiederholt. Haben wir uns verstanden?«
»Nein, wir haben uns nicht verstanden. Ich bin nicht auf der Jagd nach einer steilen Laufbahn, sondern nach Wahrheit und Gerechtigkeit. Koste es, was es wolle, diese Suche werde ich nicht aufgeben. Ich bin nicht bereit zu glauben, dass alle in diesem Land verdorben sind. Und wenn es so wäre, hieße das, Maat hat es verlassen. Wenn dem so ist, wüsste ich nicht, wieso man weiter hier leben sollte.«
Ohne dass man ihn dazu aufgefordert hätte, verließ Iker Heremsafs Arbeitszimmer.
Indem er ihn an den Stadtvorsteher verwies, der vermutlich mit den Mördern des Schreiners unter einer Decke steckte, hatte sein Vorgesetzter sozusagen zugegeben, dass er schuldig war. Warum aber hatte ihn Heremsaf auf die Spur des Messergriffs angesetzt? Als er das tat, half er ihm ja. Und als er ihm dann verbot, das Archiv aufzusuchen, hinderte er ihn daran, den Hinweis weiter zu verfolgen. Wie ließ sich ein derart widersprüchliches Verhalten erklären? Vermutlich hatte Heremsaf, ein Verbündeter des Stadtvorstehers, nichts von diesem unscheinbaren Gegenstand gewusst, der den Namen Gefährte des Windes trug.
Iker würde seiner Stellung enthoben und aus Kahun verjagt werden. Vorher musste er aber noch an die Schriftstücke kommen, die er brauchte. In der Gewissheit, dass dieser Plan unmöglich zu verwirklichen war, lief er ziellos durch die Stadt.
»Du machst aber ein ärgerliches Gesicht«, sagte Bina mit ihrer süßen Stimme.
»Ich habe Ärger in der Arbeit.«
»Du hättest mich nicht einmal bemerkt! Wie wäre es denn mit ein wenig Zerstreuung?«
»Mir ist nicht nach Vergnügungen.«
»Dann reden wir eben! Ich habe einen Platz gefunden, an dem wir ungestört sind. Ein leer stehendes Haus genau hinter dem, in dem ich arbeite. Komm heute nach Sonnenuntergang zu mir. Ein bisschen plaudern tut dir bestimmt gut.«
57
Als sie sich der Provinzhauptstadt des Hasengaus näherten, wurde die Landschaft immer lieblicher. Hier erinnerte alles an Einkehr, Ruhe und Frieden.
An Bord von Sesostris’ Schiff dachte man dagegen nur an die Auseinandersetzung mit dem gefürchteten Djehuti. Die Neuigkeiten, die General Nesmontu erfahren hatte, waren alles andere als erfreulich.
»Dieser Provinzherr verfügt über eine kleine, aber gut bezahlte Armee von kriegserfahrenen Soldaten«, erklärte er dem Pharao. »Djehuti gilt außerdem als kluger Kriegsherr.«
»Wenn das stimmt, wird er nichts gegen Verhandlungsgespräche haben!«, meinte Sehotep. »Wenn Djehuti von der friedlichen Vereinigung der angeblich unversöhnlichen Provinzen erfährt, wird er einsehen, dass ein bewaffneter Kampf sinnlos ist. Deshalb schlage ich mich als Unterhändler vor.«
»Wir gehen weiterhin so vor wie bisher«, sagte Sesostris kurz und bündig.
Die drei anwesenden Mitglieder des Königlichen Rats – General Nesmontu, Sehotep, der Träger des Siegels, und Sobek der Beschützer – waren sich einig: Der König unterschätzte die Gefahr. Djehuti war kein Niemand, und er würde die Waffen niemals ohne einen schrecklichen Kampf strecken.
Trotzdem war die Zuversicht des Pharaos anscheinend durch nichts zu erschüttern. Erinnerte er eigentlich nicht an einen dieser
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