Der Baum des Lebens
Aussicht erfüllte ihn mit Entsetzen. Dann wäre Schluss mit dem Prunk, der schönen Villa und dem guten Essen! Eine derartige Prüfung würde er nicht überleben.
Der Libanese beruhigte sich mit der Feststellung, dass ihn sein Spürsinn bislang noch nie getäuscht hatte. Dieser Ägypter war durch und durch bestechlich und hatte nichts anderes im Sinn als die Frage, wie er sich bereichern konnte!
Dann wurde er wieder unruhig, weil er noch immer nichts über die Herkunft dieses Mannes erfahren hatte.
Sein Türsteher meldete ihm einen Besucher.
Der Libanese verschlang einen honigtriefenden Dattelkuchen und verließ seine Terrasse.
Dieser Mann gehörte zu seinen besten Spitzeln. Als Wasserverkäufer war er ständig in den guten Vierteln von Memphis unterwegs. Leutselig wie er war, lernte er leicht Leute kennen und wusste, wie man sie zum Reden brachte. Da er auch ein ausgezeichneter Menschenkenner war, hatte er auf Befehl des Libanesen den Ägypter beobachtet, als der nach ihrem geschäftlichen Abkommen sein Haus verlassen hatte.
»Konntest du etwas über ihn herausfinden?«
»Ich denke schon, Herr.«
Der Spitzel machte eine betrübte Miene, und der Libanese rechnete mit dem Schlimmsten.
»Das ist ein großer Fisch, ein sehr großer Fisch!«
»Bist du ganz sicher?«
»Ja, vollkommen sicher. Ich kenne einen Boten, der für den Palast arbeitet und dem ich schon oft seinen Wasserschlauch gefüllt habe. Gestern hatte er den Auftrag, einen königlichen Erlass in die Vorstadt zu bringen. Als ich gerade mit dem Füllen seines Schlauchs fertig war, verließen drei Männer das Amtsgebäude. ›Da, schau‹, hat er zu mir gesagt, ›für den in der Mitte arbeite ich! Er schreibt auf Anordnung des Pharaos die Erlasse und Verwaltungsschreiben.‹ Und diese Person erkannte ich ohne Schwierigkeiten wieder. Es war der, den ich für Euch hatte beschatten sollen.«
Dem Libanesen wurde plötzlich übel. Das war allerdings ein zu großer Fisch! Er, der Fischer, war Sesostris ins Netz gegangen. Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig als zu fliehen, ehe die Wachen kamen.
»Weißt du auch, wie er heißt?«
»Er heißt Medes. Er gilt als fleißiger und ehrgeiziger Mann, als herzlos und unbarmherzig gegenüber seinen Untergebenen. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und hat sehr erfolgreich in der Schatzmeisterei gearbeitet, ehe er in dieses hohe Amt berufen wurde. Ich sehe zu, dass ich noch mehr herausbringe, muss aber sehr vorsichtig sein. Einen Würdenträger dieser Größenordnung forscht man nicht so leicht aus.«
Der Türsteher erschien wieder. »Noch ein Besucher, Herr. Er sagt, es sei sehr dringend und wichtig.«
»Ist er Wachmann?«
»Ganz sicher nicht! Ein grober Kerl mit zerzausten Haaren, der sich schlecht ausdrückt.«
Der Libanese war erleichtert. Der Schilderung nach konnte es sich bei dem Kerl nur um den Kapitän von dem Schiff handeln, das die wertvolle Holzladung befördert hatte.
»Er soll kommen. Du gehst durch die Hintertür«, befahl er dem Wasserträger.
Jetzt musste er erst einmal einen großen Becher klebrig süßen Johannisbrotsaft trinken. Gleich würde er erfahren, was er wissen wollte.
Der Kapitän sah so aus, wie man sich einen Kapitän vorstellt: ein erfahrener Seemann, der sich auf festem Boden unwohl fühlte und Schwierigkeiten mit dem Reden hatte.
»Das war’s«, sagte er.
»Was soll das heißen, Kapitän?«
»Na ja… das war’s eben.«
»Ist die Fracht entladen oder vom Zoll beschlagnahmt worden?«
»Ah… ja und nein.«
Der Libanese war nahe daran, den Kapitän zu erwürgen.
»Was heißt das, ja und nein?«
»Nein, der Zoll hat nichts gesehen. Ja, die Ladung ist vom Schiff und da, wo sie hin sollte.«
Medes zeigte dem Türsteher das kleine Stück Zedernholz mit der Hieroglyphe für diesen Baum. Der Dienstbote verneigte sich und führte den Gast in einen großen Raum, der mit fremdländischen Möbeln voll gestopft war. Auf mehreren niedrigen Tischen fand sich eine wahre Ausstellung von Backwaren und mit Wein gefüllten Krügen, und in der Luft hing ein schwerer Duft.
Mit geröteten Wangen und geöltem Haar gab sich der Libanese ganz begeistert: »Lieber Freund, allerbester Freund! Ich habe eine wunderbare Neuigkeit!«
»Das ist unser vorläufig letztes Treffen«, sagte Medes knapp. »Wenn die Geschichte jetzt nicht unter Dach und Fach ist, sehen wir uns nicht wieder.«
»Sie ist es aber, sie ist es!«
»Halb oder ganz?«
»Ganz. Ihr habt Euren Teil der Abmachung erfüllt,
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