Der Baum des Lebens
unbesorgt.«
»Was mir gar nicht gefällt, ist, dass ich nirgends den Leichnam von diesem Iker finden konnte. Aber die Leichen brennen derart gut, dass man keinen mehr erkennen kann. Wollt Ihr nichts mit uns trinken?«
»Irgendwer muss schließlich einen klaren Kopf behalten.« Im Schein der Glut, in der die Körper der Wachmänner und Minenarbeiter verkohlten, schwankte Schiefmaul wieder zurück zu der wüsten Siegerhorde.
Weder Iker noch Sekari hätten je gedacht, dass sie so lange laufen konnten. Als sie schließlich völlig außer Atem waren, ließen sie sich auf den Boden fallen.
»Wir sollten besser weiterlaufen«, meinte Sekari. »Diese Banditen wollen uns bestimmt einfangen.«
»Wer sind sie, glaubst du?«, fragte ihn Iker.
»Wahrscheinlich Sandläufer. Die greifen aber eigentlich Karawanen an.«
»Schiefmaul hat sich zu ihnen geschlagen!«
»Wundert’s dich vielleicht, Iker? Er ist durch und durch böse.«
Sie standen wieder auf und liefen bis zur Erschöpfung weiter. Vor Durst waren ihre Kehlen wie ausgedörrt.
»Wie sollen wir denn herausfinden, wo eine Wasserstelle ist?«, fragte Iker.
»Ich habe keine Ahnung.«
»Sehen wir der Wahrheit ins Auge, Sekari. Es wird nicht leicht sein zu überleben.«
»Deine Wahrheit gefällt mir ganz und gar nicht.«
»Wir hätten besser im Kampf sterben sollen«, sagte Iker reumütig.
»Nein, weil wir jetzt noch lebendig sind! Reibe deine Amulette aneinander und lege sie dir auf den Hals.«
Iker tat, wie ihm geheißen, und das Durstgefühl ließ nach.
»Jetzt bin ich dran.«
Danach ging es ihnen etwas besser, und sie entfernten sich weiter vom Schauplatz des Gemetzels.
Um die Mittagszeit wurde der Sand so heiß, dass er ihnen die Füße verbrannte. Sie gruben sich ein Loch, deckten es mit ihren Schurzen zu und suchten darunter Schutz vor der Sonne.
Als die Hitze allmählich nachließ, brachen sie wieder auf.
Ihr Durst war inzwischen so unerträglich, dass selbst die Amulette nicht mehr helfen konnten.
Da erhob sich vor ihnen ein seltsames, golden schimmerndes Gebirge.
»Dieses Hindernis können wir unmöglich überwinden«, seufzte Sekari.
»Es bewegt sich.«
»Wie, was redest du da?«
»Der Berg bewegt sich, Sekari.«
»Ja, es stimmt, ein Wunder… ein Wunder!«
»Er kommt auf uns zu.«
Als Sekari genau hinsah, musste er seinem Gefährten Recht geben.
»Jetzt sind wir beide verrückt geworden, mein armer Iker!«
Felsbrocken lösten sich vom Gipfel, rollten die Abhänge hinunter und donnerten zu Boden.
»Das ist ein Erdbeben!«, schrie Sekari entsetzt und wusste nicht, in welche Richtung er fliehen sollte.
»Sieh dir die Farbe des Berges genau an«, sagte Iker ungerührt.
Je mehr der Fels zerbarst, desto stärker leuchtete er blaugrün.
»Siehst du das? Das ist Hathor, sie beschützt uns. Wir bleiben hier und beten sie an.«
Sekari war zwar durchaus nicht von dem überzeugt, was sein Freund zu sehen glaubte, warf sich aber trotzdem auf die Knie und rief die Himmelsgöttin an.
Nur zwei Fingerbreit neben seinem linken Fuß öffnete sich eine Erdspalte.
»Die Stelle hier ist nicht besonders sicher!«
»Sieh doch, was die Göttin geschaffen hat.«
Der ganze Berg hatte sich in einen Türkis verwandelt und die Furcht erregenden Laute wurden allmählich leiser.
Als die Erde nicht mehr bebte, wagte Sekari einen Blick in die Erdspalte neben sich. Was er dort entdeckte, machte ihn sprachlos.
»Wenn ich mich nicht irre… ist das Wasser!«, rief er. Er tauchte seinen Arm hinein, und als er ihn wieder herauszog, war er nass. »Das ist Wasser, Iker, wir sind gerettet!«
»Trinken wir in kleinen Schlucken.«
Zum ersten Mal in seinem Leben schmeckte ihm diese Flüssigkeit so gut wie Wein. Die beiden erfrischten und wuschen sich und löschten ihren Durst.
»Wir haben kein Wassergefäß«, klagte Sekari. »Wenn wir hier weggehen, sind wir verloren. Außerdem krieg ich allmählich wirklich Hunger.«
»Hathor beschützt uns, vergiss das nicht«, sagte Iker. »Lass uns die Nacht hier verbringen und auf ein neues Zeichen warten.«
»Solltest du die Gunst aller Göttinnen genießen, sag es mir bitte gleich!«
»Mir geht es auch nicht anders als dir, ich bin hungrig und verloren in dieser Wüste. Aber ist diese Welt nicht viel geheimnisvoller, als wir ahnen? Wenn es uns gelingt, die Botschaften zu entziffern, werden wir vielleicht auch einen Ausweg finden.«
»Hoffentlich hast du Recht, jetzt schlafen wir erst mal.«
Sekari träumte
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