Der Baum des Lebens
gerade von einem gewaltigen gegrillten Stück Fleisch mit Kräutern und einem Krug kühlen Bier, als ihn Iker wachrüttelte.
»Was ist los? Hat sich der Berg wieder bewegt?«
»Die Sonne geht auf, wir müssen weiter, Sekari. Wir sollten möglichst weit kommen, ehe es wieder zu heiß wird.«
»Was heißt weiter? Ich rühre mich nicht weg von dieser Wasserstelle!«
»Wir können unseren Führer aber nicht länger warten lassen.«
Mit einem Satz fuhr der Gärtner hoch und sah sich um.
»Ich kann niemand entdecken!«
»Da oben, am Himmel!«
Ein Falke zog weite Kreise über den beiden Männern.
»Willst du dich über mich lustig machen, Iker?«
»Mein alter Lehrer hat mir beigebracht, dass der Name Hathor ›Haus des Horus‹ bedeutet. Und die Verkörperung von Horus ist eben dieser Falke, den uns die Göttin als Führer geschickt hat.«
»Die Wüste hat dich anscheinend um den Verstand gebracht!«
»Komm mit, folgen wir ihm!«
»Ja, aber… und die Wasserstelle?«
»Er wird uns andere zeigen.«
»Ich möchte aber lieber hier bleiben.«
»Wahrscheinlich möchtest du hier auch lieber auf die Sandläufer warten, oder?«
Das Argument zog. Sekari schimpfte zwar weiter, trottete aber hinter Iker her.
»Schau nur, dein Falke kümmert sich überhaupt nicht um uns, sondern um seine nächste Beute. Da, er fliegt weg und lässt uns allein!«
Aber der Falke kam zurück.
Mal flog er ihnen voraus, mal kam er wieder zu seinen Schützlingen zurück.
Nach mehreren Stunden Fußmarsch quälte sie abermals der Durst.
»Da, der Falke hat sich gesetzt!«, schrie Sekari und stolperte über einen Stein.
»Und du hast gerade eine kleine Stele verletzt! Wie wär’s, wenn wir hier graben würden?«
Am Fuß der kleinen Figur entdeckten sie zwei Schalen mit frischem Obst. Und nicht weit weg davon eine Wasserstelle.
»Das ist zwar kein Festmahl, aber es wird reichen«, bemerkte Sekari zufrieden.
23
Iker und Sekari hatten schon lange aufgehört, die Tage zu zählen. Sie folgten dem Falken, der sie zunächst Richtung Osten und dann südwärts führte. Immer wenn sich der Falke setzte, fanden die zwei Freunde entweder Wasser, Lebensmittel oder beides. Und auf ihrem ganzen Weg war ihnen noch kein einziger Sandläufer begegnet.
Die Wüste wurde endlich etwas weniger dürr, und vereinzelt waren Dornengewächse und Zwergtamarisken zu sehen.
Auf einmal flog der Falke mit heftigem Flügelschlag steil nach oben und verschwand im gleißenden Licht der Mittagssonne.
»Unser Führer verlässt uns«, stellte Sekari bedauernd fest.
»Sieh nur, dort ist schon der Nächste.«
Auf einem kleinen Hügel stand eine schöne weiße Gazelle, deren Hörner die Form einer Leier hatten.
»Ein Geschichtenerzähler hat mir einmal gesagt, dass die Gazelle das Tier der Isis ist und die Verirrten wieder zurück auf den rechten Weg bringt«, wusste der Gärtner zu berichten.
Und die Gazelle lief mit großen Sprüngen los.
»Leider war das nur eine Legende!«
»Nicht unbedingt«, widersprach ihm Iker.
»Hast du nicht gesehen, dass sie das Weite gesucht hat?«
»Doch, aber wir können ihren Spuren im Sand folgen. Vielleicht wartet sie irgendwo auf uns.«
Und Iker hatte sich nicht geirrt.
Das leichtfüßige Tier hatte sein Vergnügen daran, immer wieder zu verschwinden und aufzutauchen, zeigte den beiden Menschen, die ihm anvertraut waren, die erstaunlichsten Sprünge und wilde Rennen, ließ sie aber nie so lange allein, dass sie Angst bekommen hätten.
Die Landschaft veränderte sich, die Wüste zog sich zurück, und die Vegetation wurde nach und nach üppiger.
»Wenn ich mich nicht irre, nähern wir uns der Hochebene über dem Niltal«, mutmaßte Sekari. »Wie schön diese hügelige Gegend ist! Hier wachsen Pflanzen, sobald auch nur ein einziger Regentropfen fällt. Ich glaube, wir werden bald Eichen und Akazien sehen. Ist dir das eigentlich klar: Wir haben die Wüste überlebt!«
»Dank Hathor, dem Falken und der Gazelle«, fügte Iker hinzu.
»Ich gehe wieder zu meinen Gärten«, freute sich Sekari. »Und was ist mit dir, willst du nicht doch die Vergangenheit vergessen?«
»Ich werde sie nicht nur nicht vergessen, sondern jetzt ist auch noch eine neue Aufgabe dazugekommen: Ich will die Königin der Türkise wiederfinden. Sie hat es möglich gemacht, dass ich die Frau, die ich liebe, wiedergesehen habe. Dieser Edelstein wird mir mit Sicherheit weiterhelfen.«
»Den haben bestimmt die Sandläufer gestohlen, Iker! Und wenn
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