Der Baum des Lebens
Ordnung, sie hatten große, gesunde Viehherden, und das Handwerk blühte. Natürlich verfügten sie auch über gut ausgerüstete Streitkräfte; aber konnte denn das kümmerliche Heer des Pharaos überhaupt die Unversehrtheit der Provinzen sicherstellen?
Es gab nichts, was geändert werden müsste, und Schluss!
Zu den kleinen Vergnügungen Djehutis gehörte es, täglich den Sessel zu wechseln, auf dem er sich dauernd herumtragen ließ. Er besaß drei große, gemütliche Tragesessel mit Sonnenschirm, in denen er sich beinahe ausstrecken konnte. Mehrere achtköpfige Mannschaften wechselten sich mit dem Tragen ab, wobei sie gern ein altes Lied sangen: »Die Träger sind zufrieden, wenn der Sessel besetzt ist. Ist der Herr anwesend, entfernt sich der Tod, das Leben wird von Sokar, dem Herrscher über die Unterwelt, erneuert, und die Toten stehen wieder auf.«
Djehuti hatte einen kahlen Schädel, und es war für ihn Ehrensache, keine Perücke zu tragen, was ihn aber nicht daran hinderte, eitel zu sein. Er trug gerne einen eleganten, sorgsam in Falten gelegten Umhang und einen langen Lendenschurz, der seine Beine bedeckte. Seiner Meinung nach verzögerte ein gepflegtes Äußeres das Fortschreiten des Alters.
Nachdem sich der Fürst die erfreulichen Berichte seiner Pächter angehört hatte, genehmigte er sich einen Ausflug aufs Land. Doch als er gerade seinen Palast verlassen wollte, begegnete er seinem alten Freund, dem General Sepi.
Er musste ihn nur einmal ansehen, um sofort zu begreifen, dass der Freund einen schmerzhaften Verlust erfahren hatte.
»Diesen Kummer kann dir niemand abnehmen. Ich weiß, dass du von mir keine Worte des Trostes erwartest. Wenn du dich erst ein wenig ausruhen möchtest, ehe du mir Bericht erstattest…«
»Ungeachtet des Todes meiner Mutter habe ich meinen Auftrag ausgeführt. Die Neuigkeiten, die ich Euch berichten kann, sind nicht gerade erfreulich.«
»Ist Sesostris zu dem Machtkampf entschlossen?«
»Das weiß ich nicht, weil meine Verbindungsleute am Hof auf einmal schweigen.«
»Das heißt also mit anderen Worten, dass der Pharao die Zügel in die Hand genommen hat! Ein schlechtes Zeichen, ein sehr schlechtes Zeichen… Was gibt es sonst noch?«
»In der Stadt Sichern hat es einen Aufstand gegeben, die Bevölkerung hat die ägyptische Garnison niedergemetzelt.«
»Wie hat sich der Pharao daraufhin verhalten?«
»Denkbar rücksichtslos: Er gab General Nesmontu den Befehl zu einem Großangriff. Sichern ist inzwischen wieder in ägyptischer Hand.«
Der König hatte also nicht davor zurückgeschreckt, Gewalt anzuwenden! Das war eine klare Botschaft an alle Provinzfürsten, die sich ihm nicht unterwerfen wollten.
Djehuti verließ seinen Tragesessel.
»Komm mit, wir gehen in meinen Laubengang und trinken ein Glas Wein. Hast du Sichern gesagt? Zu Sichern unterhalten wir doch Handelsbeziehungen, oder nicht?«
Sepi nickte nur.
»Kampflustig wie er ist, wird mich der Herrscher vermutlich zum Mitwisser des Aufstands erklären! Du musst unsere Streitkräfte unverzüglich in Alarmbereitschaft versetzen.«
»Ägypter töten Ägypter… Was für eine schreckliche Vorstellung!«
»Ich weiß, Sepi, ich weiß, aber Sesostris lässt uns keine Wahl. Schreibe Chnum-Hotep und den übrigen Provinzfürsten, dass die Auseinandersetzung unmittelbar bevorsteht.«
»Dann werden sie glauben, dass Ihr sie zu einem Bündnis überreden wollt, das sie um keinen Preis wollen.«
»Da hast du Recht. Also – lassen wir das mit dem Schreiben, soll jeder selbst sehen, wo er bleibt!«
Der Wein war ausgezeichnet, aber Djehuti schmeckte er nicht recht.
»Ein Fremder möchte mit Euch sprechen«, kündigte der General an.
»Hoffentlich kein Kanaaniter aus Sichern?«
»Nein, nein, ein junger Mann, der mit einem Empfehlungsschreiben von Techat aus dem Gazellengau kommt.«
»Das sieht ihr gar nicht ähnlich! Normalerweise empfiehlt sie nur sich selbst. Schick ihn weg, ich möchte heute keinen Besuch.«
»In diesem besonderen Fall würde ich gern darauf bestehen.«
Djehuti war irritiert. »Was ist denn an deinem Schützling so ungewöhnlich?«
»Das sollt Ihr eben selbst feststellen.«
Der General war nun wirklich kein Spinner und wollte auch nie irgendwie bevorzugt werden.
»Lass den Jungen holen.«
Kaum hatte er Iker gesehen, verstand Djehuti, warum Sepi sich so für ihn interessierte. Obwohl sich der junge Besucher bescheiden und unauffällig benahm, strahlte er ein Feuer aus, das nicht einmal die
Weitere Kostenlose Bücher