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Der Befehl aus dem Dunkel

Der Befehl aus dem Dunkel

Titel: Der Befehl aus dem Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Dominik
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auf diesen Blättern stand, ernst zu nehmen, oder waren es Fantasien eines kranken Geistes?
    Und dieses Mädchen sollte Lydia Allgermissen sein? Er schickte nach dem burätischen Führer, wollte ihn fragen, wie er zu dem Mädchen gekommen sei. Doch dieser war längst weitergezogen. Er sprach mit ihr selbst und erfuhr, daß sie tatsächlich Allgermissens Tochter sei. Von den Vorgängen in Irkutsk bei Iwanow wußte sie nichts. Ihre übrigen Angaben waren unklar.
    Er hatte damals lange überlegt, was er mit ihr anfangen solle. Da erinnerte er sich, daß in der Nähe des Klosters ein englischer Botaniker, ein Dr. Musterton, lagerte, der hin und wieder zu botanischen Exkursionen über die Grenze kam. Auch damals hatte er ihn holen lassen und um Rat gefragt. Musterton hatte keinen Moment gezögert, sich Lydia Allgermissens anzunehmen. Drüben, jenseits der Grenze, auf englischem Gebiet, hatte der Doktor in einem Dorf sein Standlager, wo auch seine Familie sich aufhielt. Lydia Allgermissen würde willkommen sein. —
    Das Erbe Allgermissens … Der Abt ließ die Blätter des Buches durch die Finger gleiten … Nie hatte Sifan etwas davon erfahren. Sein Eigentum, sein kostbarer Besitz war es geblieben. In monatelanger mühseliger Arbeit hatte er versucht, in den Geist dieser Aufzeichnungen einzudringen, ihren Kern und Sinn zu erfassen. Es war ihm gelungen, den Schleier ein wenig zu lüften. Die Probe, die er vor einer Stunde mit dem Mönch Sifan gemacht hatte, war der Beweis dafür.
    Turi Chan stand auf, ging langsamen Schrittes zu dem Schrank, verschloß das Buch sorgfältig und überlegte.
    Dieser Sifan ist kein gewöhnlicher Mensch. Um der Liebe eines Mädchens willen mißbrauchte er die Schicksalsgabe und lenkte des Freundes, des Nebenbuhlers Gedanken, daß dieser die bereitgelegte Waffe ergriff und sich damit den Tod gab. Welch starker Wille strahlte aus dessen Hirn, daß er sich einen anderen unterwarf bis zur Selbstvernichtung …
    Der Gedanke, einen Mann mit solchen übernatürlichen Fähigkeiten im Kloster zu haben, verursachte dem Abt Unbehagen. War es nicht möglich, daß dessen Kräfte noch weiter gingen, daß er eines Tages irgendwie von der Erbschaft Allgermissens hier in diesem Schränkchen erfuhr? Er beschloß, ihn für einige Zeit aus dem Kloster zu entfernen. Ein Grund war leicht zu finden. Er brauchte ihn nur als Boten mit einem Brief an den Abt eines anderen Klosters zu schicken. Der würde ihn dann so lange dort behalten, wie es Turi Chan paßte. —
    Am nächsten Morgen wanderte Sifan durch das Tal des Rogu dem Kloster Tschaidam zu mit einer Botschaft an dessen Abt. Am Abend des zweiten Tages schritt er einem kleinen Dorf zu. Als er näher kam, sah er unter einer Tamariskengruppe einige Zelte aufgeschlagen, vor denen ein Feuer brannte.
    Er wollte daran vorbeigehen, da erblickte er den englischen Botaniker Dr. Musterton, der ihn anrief. Sie kannten sich, weil Sifan manchmal den Dolmetscher gemacht hatte, wenn Musterton ins Kloster kam.
    Eine Weile unterhielten sie sich über Zweck und Ziel ihrer Reise. Dann lud Musterton den Mönch ein, die Nacht in seinem Lagerort zu verbringen. Sie hatten sich eben am Feuer niedergelassen, da kam ein junges Mädchen mit einem Topf Tee aus einem der Zelte. Im Schein des Feuers blieb sie unvermittelt stehen und blickte den Mönch betroffen an. Musterton fragte lächelnd: »Kennst du den Mönch Sifan vielleicht noch von Gartok her?« Dann wandte er sich an Sifan: »Vielleicht erinnern Sie sich, daß vor ein paar Jahren ein Mädchen, das mit einer Karawane ritt, beim Durchschreiten der Furt bei Gartok mit ihrem Pferd in eine Tiefe geriet. Ein Mönch Ihres Klosters wollte sie retten, kam dabei selbst in Lebensgefahr …«
    Musterton hielt inne. Das Mädchen war auf Sifan zugegangen und reichte ihm die Hand. »Sie sind’s, der mich damals rettete. Oh, wie freue ich mich, Sie wiederzusehen, um Ihnen von ganzem Herzen für Ihre mutige Tat zu danken.«
    »Ah, Sie waren es!« rief Dr. Musterton und schüttelte dem Mönch die Hand. Dieser dachte im stillen: Warum hat man mir niemals gesagt, daß die Gerettete eine Europäerin war?
    »Das nenne ich aber einen glücklichen Zufall, daß wir uns hier treffen müssen«, rief Musterton, »der Tee ist heiß, setzen wir uns! Aber nein. Da wir uns in rein europäischer Gesellschaft befinden, muß ich, dortigen Gepflogenheiten entsprechend, die Herrschaften miteinander bekannt machen. Hier, liebe Lydia, siehst du den Mönch Sifan aus

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