Der Befehl aus dem Dunkel
warf Jan ein. »Anne macht sich da sicherlich unnötige Sorgen um ihre Schwester. Helene wird auch ohne Herrn Alfred Forbin ihren Weg finden.«
*
Seit einer Woche weilte Oberst Macoto beim Stabe der Freiwilligenarmee. Seine Berichte lauteten durchaus zufriedenstellend. Heute hatte er mit Borodajew mehrere Formationen der Armee besichtigt. Während sie in das Quartier des Generals zurückritten, lenkte er sein Pferd an die Seite der schönen Frau, die, vom frühen Morgen an ununterbrochen im Sattel, Borodajew begleitete.
Immer wieder hatte Macoto, während sie von einem Lager zum anderen ritten, Gelegenheit gehabt, den klaren, praktischen Blick und das sichere Empfinden Helenes zu bewundern, die treffende Art, mit der sie sich über das Gesehene äußerte und geschickte Ratschläge über Änderungen oder Verbesserungen von diesem und jenem gab.
Sie hatten das Ufer des Sungari erreicht. Auf einer gebrechlichen Fähre setzten sie nicht ohne Gefahr über den angeschwollenen Fluß zu dem armseligen Dörfchen hinüber, in dem General Borodajew jetzt sein Quartier hatte.
Der General war glücklich in seiner Liebe. Hätte er jedoch tiefer in Helenes Herz schauen können, würde er wohl gemerkt haben, daß ihre frohe Laune ihrer natürlichen Lust an solchem abenteuerlichen Leben entsprang. —
Macoto hatte seinen Bericht abgeschlossen. Sie saßen um den summenden Samowar. Da traf ein Telegramm aus Mukden ein, das ihm befahl, nach Erledigung seiner Aufträge alsbald dorthin zu kommen.
Der Oberst schaute auf die Uhr und trat ans Fenster. Die Mondsichel war hinter schweren Wolken verborgen, der Himmel sternenlos, eine undurchdringliche Finsternis draußen.
»Kaum möglich, in dieser Nacht die Reise anzutreten. Ich kann mir auch nicht denken, daß man mich sofort erwartet. Wenn ich morgen früh fliege, bin ich gegen Mittag dort. Das dürfte wohl genügen.«
Helene verließ einen Augenblick den Raum. Als sie wiederkam, wandte sie sich schmeichelnd an Borodajew:
»Du mußt mir gestatten, Alexei, daß ich selbst Oberst Macoto im Flugzeug nach Mukden bringe, das heißt, wenn er sich meiner Führung anvertrauen will.«
Der General runzelte die Brauen. Helene strich ihm liebkosend über die Stirn und sagte mit ihrem gewinnendsten Lächeln halblaut: »Es gibt Dinge, Alexei, die eine Frau selbst im Felde schwer entbehren kann.«
Der General beugte den Kopf zur Seite, als wolle er widersprechen. Da fuhr sie fort: »… darunter solche, deren Einkauf sie am liebsten selbst besorgt. In Mukden werde ich alle diese Dinge finden. Wenn ich bei einbrechender Dunkelheit noch nicht zurück sein sollte, sorge bitte für eine gute Markierung des Flugplatzes.«
Oberst Macoto nahm die Einwilligung Borodajews vorweg und dankte Helene mit liebenswürdig-begeisterten Worten für ihr Anerbieten.
»Dann aber jetzt sofort zu Bett!« sagte Borodajew. »Punkt sechs Uhr mußt du startbereit sein.«
Helene drückte ihm strahlend die Hand. »Immer wieder muß ich sagen, du sorgst dich unnötig, Alexei. Die paar Stunden Flug sind doch ein Kinderspiel für mich.«
»Sage das nicht, Helene! Die um diese Jahreszeit oft so plötzlich auftretenden Orkane können den besten Piloten gefährlich werden.«
»Keine Angst, Alexei, ich werde mich schon vorsehen.« —
Mukden, der Sitz der mandschurischen Regierung, hatte während der letzten Jahre seine Einwohnerzahl fast verdoppelt. Ganz neue Viertel waren an den Ufern des Hun Ho entstanden. Tausende Gewerbetreibender hatten sich hier niedergelassen.
Hinter den schimmernden Spiegelscheiben der großen Kaufhäuser lagen alle Erzeugnisse westlicher Kultur. Helene schwelgte ein paar Stunden in lang entbehrten Genüssen. Dann ließ sie sich zum Flughafen fahren. Macoto hatte sie gebeten, dort noch einmal mit ihm zusammenzutreffen, für den Fall, daß er gewisse Weisungen für Borodajew erhalten würde.
Sie betrat den Platz und fand Macoto im Hafenrestaurant.
Er hatte eine versiegelte Mappe bei sich, die für General Borodajew bestimmt war. Wiederholt und dringend bat er Helene jedoch, den Rückflug auf den nächsten Morgen zu verschieben. Die Auskunft, die er fürsorglich bei der meteorologischen Station eingeholt hatte, sagte ungünstiges Flugwetter voraus.
»Erst recht ein Grund für mich, zu fliegen«, sagte Helene eigensinnig. »Ich bin gewöhnt, das Gegenteil von den Voraussagen der Wetterpropheten anzunehmen und habe damit meistens das Richtige getroffen.«
Sie stand auf und ging, von Macoto
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