Der Befehl aus dem Dunkel
schicken, daß Sie erst morgen fliegen.«
»So mag’s denn sein, Herr Oberst«, sagte Helene zögernd. »Ich werde die Gelegenheit benutzen, heute abend das Theater zu besuchen. Vielleicht treffen wir uns danach noch einmal in meinem Hotel.«
»Aber selbstverständlich! Es wird mir ein großes Vergnügen sein, noch ein Stündchen mit Ihnen im Hotel zu plaudern.« —
Als Macoto gegen die elfte Abendstunde in das Restaurant des Hotels Mandschuria kam, fand er Helene in einer anscheinend recht vergnügten Stimmung. Sie sprachen über das Theaterstück und über die künstlerischen Genüsse Mukdens. Nur ab und zu meinte Macoto aus ihren scherzenden Worten einen nervösen Unterton herauszuhören. Als die zwölfte Stunde schlug, erhob sich Helene und reichte ihm die Hand zum Abschied. Der Oberst versprach, am nächsten Vormittag auf den Flugplatz zu kommen, um ihr die Mappe für Borodajew zu bringen. Bald nachdem er fortgegangen war, trat auch Helene vor die Tür des Hotels. In der Fliegerkleidung unter dem weiten Mantel, eine Reisemütze über den Kopf gezogen, konnte sie in der Dunkelheit für einen Mann gelten. Nach einigen Kreuz- und Quergängen schlug sie den Weg zum Hun Ho ein. An einem Kaischuppen unweit des Gefängnisses blieb sie stehen.
Eine Viertelstunde mochte sie wohl gewartet haben, da kam vom Gefängnis her ein Mann. In der Nähe des Schuppens gab er einen leisen Pfiff von den Lippen, den Helene ebenso beantwortete. Der Mann flüsterte ihr ein paar Worte zu, worauf sie ihm ein Päckchen Geldscheine in die Hand drückte. Es war der Rest des Bestechungsgeldes für Arngrims Befreiung.
Der Unbekannte verschwand in einer Seitengasse, Helene schlug den Rückweg zum Hotel ein. Er ist frei! Er ist frei! murmelte sie vor sich hin, was ich tun konnte, habe ich getan. Ob es ihm gelingen wird, ungesehen einen Hafen zu erreichen? Dann wäre er gerettet. Irgendein Schiff wird sich schon finden, das ihn aufnimmt. Das Geld, das ich ihm in den Seemannsanzug einnähte, wird ihm helfen. Das heißt, setzte sie etwas nachdenklich hinzu, wenn dieser Gefängniswärter es nicht gestohlen hat. —
Auch am folgenden Tage war die Wetterlage wenig verheißungsvoll. Doch diesmal waren alle Bitten Macotos, den Rückflug noch einmal zu verschieben, vergeblich. Helene bestand auf ihrem Willen.
Ihre Maschine wurde aus der Halle auf die Startbahn gezogen. Ein kurzer Händedruck, dann stieg sie in ihr Flugzeug und ließ die Propeller anwerfen. Wenige Minuten später sah Macoto die Maschine nur noch als kleines Pünktchen nach Norden entschwinden.
Eineinhalb Stunden hielt Helene ihre Maschine mit einer Geschwindigkeit von über fünfhundert Kilometer auf Nordkurs, da stieg im Westen eine schwarze Wetterwand auf. Nicht ohne Sorge sah Helene sie mit bedrohlicher Schnelle näherkommen, doch verlor sie keinen Augenblick die kühle Überlegung.
Entschlossen setzte sie den Weg nach Norden fort und suchte dabei größere Höhen zu gewinnen, um das Unwetter vielleicht unter ihr Flugzeug zu bringen.
Die Luft war inzwischen so diesig geworden, daß sie vom Boden nichts mehr erkennen und nur blind fliegen konnte. Die in immer schnellerer Folge einsetzenden Böen zeigten ihr, daß ihre Lage von Minute zu Minute ernster wurde.
Der Versuch, dem Unwetter durch Gewinnung großer Höhe zu entgehen, erwies sich als erfolglos. Schon zeigte der Höhenmesser fast zehntausend Meter, das Atmen fiel ihr schwer.
Da war es plötzlich, als würde ihr Flugzeug von einer unsichtbaren Hand gepackt und in rasendem Sturz in die Tiefe gerissen. Sekunden verstrichen, dann hatte sie sich und die Maschine wieder in der Gewalt. Ihre Augen gingen zu den Instrumenten. Noch ehe sie die Orientierung wiedergefunden hatte, traf sie ein neuer Stoß, der sie beinahe aus dem Führersitz warf.
Als sie die Maschine wieder zu meistern vermochte, erkannte sie mit Schrecken, daß sie mit dem Sturm geradeswegs nach Osten jagte. Mit schnellem Ruck zwang sie das Flugzeug wieder in die Nordrichtung. Wohl eine Stunde kämpfte sie gegen das Wetter – aber vergeblich. Sie hatte die Orientierung verloren.
Entschlossen stieß sie durch die Wolkenwand nach unten. Doch das Landschaftsbild bot nicht den geringsten Anhaltspunkt. Eine halbe Stunde war sie geflogen – da sah sie Fluß und Eisenbahnlinien unter sich.
Plötzlich bemerkte sie im Norden zwei Flugzeuge, die auf sie zuhielten. Als sie näher gekommen waren, flog die eine Maschine direkt auf sie zu, während die andere in eine
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