Der Befreier der Halblinge: Roman (German Edition)
auch an seine Zieheltern zu denken. Gomlo der Baum-Meister von Gomlos Baum und Brongelle die Schnaufende. Von beiden war anzunehmen, dass sie den Orks zum Opfer gefallen waren. Nichts hatte seinerzeit darauf hingedeutet, dass sie noch am Leben sein könnten, als Arvan vor dem niedergebrannten Wohnbaum gestanden hatte, der doch schließlich seine Heimat gewesen war. Für einen kurzen Moment stellte er sich vor, Gomlo und Brongelle beim Runenbaum zusammen mit seinem alten Lehrer Grebu wiederzutreffen. Das ist nur ein schöner Traum, rief er sich sogleich in Erinnerung. Ein schöner, aber schmerzhafter Traum.
Arvan bekam allerdings noch mit, dass Brogandas sich an Neldo wandte. » Ich brauche einen Halbling « , erklärte der Dunkelalb.
» Wieso das? «
» Niemand vermag so zu klettern wie Halblinge. «
Während die anderen beim Lager zurückblieben und Whuon die erste Wache übernahm, kletterten Neldo und Brogandas die nahen Felshänge empor. Die Nacht war mondhell, und das Sternenmeer leuchtete an einem Himmel, der vollkommen wolkenlos war. Man konnte gut sehen. Die Augen von Elben und Dunkelalben waren denen der meisten anderen Völker darin ohnehin überlegen, und vermutlich hätte sich Brogandas auch noch zu orientieren vermocht, wenn es sehr viel dunkler gewesen wäre. Neldo hingegen war zwar froh, dass der Mond die Felsen anstrahlte, aber er verließ sich ohnehin eher auf seine geschickten Hände und Füße. Dass Halblingfüße im Vergleich zum restlichen Körperbau ziemlich groß waren, bedeutete nämlich alles andere als Plumpheit und Ungeschick. Vielmehr erlaubte gerade die besondere Kraft dieser Füße einem Halbling so zu klettern, wie kein Mensch, Elb, Zwerg oder Ork das vermocht hätte.
Schließlich erreichten sie ein hohes Felsplateau, von dem aus man weit über das unwirtliche, karge Land hinwegblicken konnte. » Du bist ein geschickter Bergführer, obwohl du ja vermutlich auf einem Riesenbaum in den Wäldern am Langen See geboren bist « , sagte Brogandas anerkennend.
» Seid ehrlich, Brogandas: Ihr hättet mich als Kletterführer, der Euch die besten Tritte zeigt, nicht gebraucht « , stellte Neldo fest. » Ihr seht selbst, was in den Schattenlöchern zwischen den Felsspalten ist. Ich hingegen muss das erst ertasten. «
» Dafür kannst du sicher abschätzen, ob ein Tritt auch trägt und nicht einfach abbricht. «
» Ich nehme an, dass Ihr mithilfe Eurer Magie in der Lage wärt, Euch zu retten, Brogandas. «
Brogandas hatte seinen Kopf mit der Kapuze seiner Kutte bedeckt und sie tief ins Gesicht gezogen. Seine Züge lagen daher in einem undurchdringlichen Schatten. » Magie sollte man so sparsam wie möglich einsetzen, Neldo. Sie kostet jedes Mal wertvolle Kraft, die man vielleicht schon wenig später dringend braucht. «
Alles Vorwände, dachte Neldo. Ich frage mich, was er wirklich von mir will.
Brogandas ließ den Blick über die mondbeschienene Wüste gleiten. Hier und da ragten kleinere Felsmassive aus dem Sand und bildeten Schatten. Aber an vielen Stellen waren kleinere Gesteinsbrocken freigelegt worden.
» Dracheneier « , murmelte Brogandas. » Versteinerte Dracheneier, so weit das Auge reicht. Zum Glück scheinen die wenigsten etwas Lebendiges zum Vorschein gebracht zu haben. «
» Ghool bereitet sich auf den nächsten Krieg vor « , stellte Neldo fest.
» Du hast seine Anwesenheit schon gespürt, nicht wahr? «
» Nein, ich… «
» Sei ehrlich! Ich will nicht die Version hören, mit der sich der ehrenwerte und ach so rücksichtsvolle Lirandil zufrieden geben mag. Die Wahrheit, Neldo. Nichts als die Wahrheit– und ich werde nicht zweimal darum bitten! «
Neldo schluckte. Darum geht es also, erkannte er.
Blitzschnell griff Brogandas Neldo an die Stirn. Ein heftiger Schmerz durchfuhr den Halbling, als die Handfläche seine Haut berührte. Für einen Moment drehte sich alles vor ihm. Er konnte nichts sehen außer Myriaden von grellen Blitzen. Die Welle des Schmerzes durchflutete seinen gesamten Körper. Er fühlte sich wie gelähmt und war unfähig, sich auch nur ein bisschen zu bewegen– geschweige denn, dass er sich hätte wehren können. In seinem Kopf glaubte er eine unangenehm laut dröhnende Stimme zu hören. Sie sprach Worte in einer Sprache, die Neldo nicht verstand. Formelhaft wurden immer und immer wieder dieselben Silben wiederholt.
Als der Dunkelalb seine Hand wieder zurückzog, warnte er Neldo. » Fall nicht. Es geht tief hinab– und du verfügst nicht über
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