Der Befreier der Halblinge: Roman (German Edition)
Candric hatte das immer nach Kräften unterstützt. Allerdings waren sie sich darin einig gewesen, mit diesem Umsturz noch zu warten. Zumindest bis zum Ende des Krieges gegen Ghool, denn ganz gleich wie der auch ausgehen mochte: Danach verschoben sich die Machtverhältnisse in jedem Fall.
Dass es Kalamtar nun so eilig gehabt hatte, sich mithilfe von ein paar ihm ergebenen adligen Befehlshabern– den wenigen, die das Gemetzel in Gaa überlebt hatten und von dort entkommen waren– zum König zu machen, hatte etwas mit dem Gesundheitszustand des Hochkönigs zu tun.
Er rechnet damit, dass ich nicht mehr lange lebe – und dann wird unter den Königen Athranors ein Nachfolger gesucht, wusste Candric. Aber er wird sich noch gedulden müssen.
An Candrics rechter Seite ritt Herzog Damvan von Caplanien. Er nahm dem König derzeit alle Aufgaben ab, die mit dem Kommando über dieses große Heer zusammenhingen. Im Fall meines Todes könnten sich Kalamtar und Damvan zusammentun, überlegte Candric. Der eine hat die Königswürde, der andere ein großes Heer – welch unschlagbare Kombination, um Hochkönig zu werden. Und welch ein Aufstieg für einen Truchsess.
Damvan gehörte zwar dem beiderländischen Königshaus an, stand aber in der Thronfolge nicht an prominenter Stelle. Wenn Candric fiel, ging die Krone Beiderlands an dessen jüngeren, noch keine vierzehn Jahre alten Bruder, der schon aufgrund seines Alters zu Hause im Palast von Aladar geblieben war. Ein weiterer Grund war natürlich, dass eine ungeschriebene Regel des beiderländischen Königshauses es verbot, dass König und Thronfolger gemeinsam auf Feldzüge gingen.
» Damvan, hört mir zu « , wandte sich König Candric plötzlich an den Herzog von Caplanien.
» Was wünscht Ihr, mein König? «
» Wenn wir Gaa erreichen, dann sollen sie nach der Lanze suchen… hört Ihr? Nach der Magischen… Lanze. « Der König atmete schwer: Schweißperlen rannen ihm über die Stirn. Ein ungesunder, fiebriger Glanz leuchtete in seinen Augen. » Meine Stimme ist nicht mehr machtvoll genug… Ihr müsst das übernehmen, Damvan. «
» Wie Ihr wünscht « , gab Damvan zurück.
Auch wenn beide Männer sich von Kindesbeinen an kannten und verwandt waren, so redeten sie sich in der Öffentlichkeit stets in aller Förmlichkeit an. Dass sie vor Jahrzehnten gemeinsam mit Holzschwertern gespielt und über ihre Hauslehrer am Hof von Aladar geflucht hatten, war für beide Teil eines ersten, anderen Lebens, das mit Candrics Krönung zum König von Aladar und dem Beiderland aus Westanien und Sydien, wie der offizielle Titel des Herrschers seit gut dreieinhalb Jahrhunderten lautete, geendet hatte. Durch Amt und Titel stand nun eine unüberbrückbare Kluft zwischen ihnen, auch wenn das Band der Loyalität dadurch keineswegs schwächer geworden war.
» Wollt Ihr nicht lieber eine Rast einlegen? « , fragte Damvan nun, der schon während des gesamten Ritts den Gesundheitszustand seines Königs mit großer Sorge beobachtet hatte.
» Nein « , keuchte dieser. Wenn ich die Lanze zurückhabe, dann könnte ich ruhigen Gewissens die Augen schließen, fügte er in Gedanken hinzu. Dass dieses Wahrzeichen seiner Hochkönigswürde im Kampf verloren gegangen war und nicht hatte geborgen werden können, konnte nur als übles Zeichen des Schicksals gedeutet werden. Ein Fingerzeig der Götter, dass seiner Anführerschaft kein Glück beschieden sein konnte. Und eine Schande war es obendrein. Eine Schande, die um jeden Preis ausgemerzt werden musste, so gut es ging. Ich kann es nicht ungeschehen machen, aber wenn ich die Lanze zurückgewinne, wird aus einem Missgeschick und einer verhängnisvollen Niederlage vielleicht sogar noch eine Heldentat, dachte Candric. Und wenn ich Glück habe, wird man später von dieser Heldentat öfter erzählen als von meiner Schande.
Schon als er zum ersten Mal seit seiner Verletzung aus der Bewusstlosigkeit erwachte, war dies sein erster Gedanke gewesen. Und das war letztlich auch der Grund dafür, weshalb er Gaa um jeden Preis zurückerobern wollte, denn der strategische Wert dieser zur rauchenden Ruine gewordenen Provinzhauptstadt war für den unmittelbaren Kriegsverlauf nicht mehr allzu hoch anzusetzen.
Das Heer erreichte die Brücke über den Grenzfluss. Unversehrt und unbewacht war sie. Auf der anderen Seite lagen die Ruinen von Gaa. Viele Häuser waren offensichtlich mutwillig angezündet worden. Verrußte Steinwände ragten hier und da empor. Die Dachstühle
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