Der beiden Quitzows letzte Fahrten
wohl am Pochen erkannt haben, denn er rief laut:
»Tritt nur ein, Marie!«
Hastig wurde die Thür geöffnet und Marie, Detlev’s Schwester, trat mit allen Zeichen der höchsten Erregung in ihrem hübschen Gesichtchen ein:
»Die arme Frau ist soeben erwacht und spricht wirres Zeug! O mein Gott, ich – ich – fürchte mich!«
Suteminn erhob sich von seinem Stuhl und suchte sie zu beruhigen.
»Dann bleibe nur hier, mein Kind, bis ich zurückkomme. Ich werde sehen, ob ich die Unglückliche zu beruhigen vermag!«
Mit diesen Worten öffnete er die Thür zum Vorderzimmer und blieb einen Augenblick horchend stehen.
Eine weiche, zu Herzen dringende Stimme rief in wehklagendem Tone:
»O mein Gott, wo bin ich? Wo hat mich der Bösewicht jetzt hingebracht? Ja, es ist nicht anders, er will mich ermorden! Meine lieben, guten Kinder, wo seid Ihr? Hat man Euch auch schon um’s Leben gebracht? Werde ich Euch nicht mehr wiedersehen?«
Die Worte verschwammen allmälig in einem dumpfen Jammern, und Suteminn trat rasch zu der Thüre des kleinen Gemach’s, öffnete sie und stand einer großen, schlanken Frau gegenüber, deren von jahrelangem Gram durchfurchte Züge auch jetzt noch Spuren einstiger hoher Schönheit trugen.
Das große, dunkle Auge auf den Ritter gerichtet, stand sie einen Augenblick stumm da; Suteminn begegnete diesem Blick zwar fest, doch aber mit Milde, und war eben im Begriff, die Frau anzusprechen, als sie in einem Ausbruch der Verzweiflung oder auch unter dem überwältigenden Gefühl einer momentanen lichten Eingebung mit dem gellend hervorgestoßenen Schrei in die Kniee sank:
»Rette mich! – Gieb mir meine Kinder wieder!«
Der Ritter hob die Frau empor, führte sie zu einem in der Nähe stehenden Stuhl und redete ihr mit allen im Augenblicke ihm zustehenden Trostesworten sanft zu.
Sichtlich glaubte er selbst nicht an eine Wirkung seiner Trostesworte, denn er rief Detlev herbei und beauftragte ihn, so lange bei der Frau zu bleiben, bis er wiederkommen würde.
Wenige Minuten vergingen nur, als er bereits zurückkehrte; aus einem Fläschchen goß er einige Tropfen in einen Löffel und flößte diese der sich gewaltig sträubenden Frau ein.
Bald versank diese hierauf wieder in einen festen Schlummer, und befriedigt verließ er das Stübchen. Noch einige Male im Laufe des Tages besuchte er die noch immer nicht aus ihrem Schlafe erwachte Frau, und als er gegen Abend wieder bei ihr gewesen war, rief er Detlev in sein Arbeitszimmer.
»Ich werde in der Nacht noch aufbrechen, um morgen in Potsdam mit einem Bekannten eine Unterredung pflegen zu können, und vor morgen Abend nicht zurückkehren. Sobald die Frau erwacht sein wird, gieb ihr von diesen Tropfen eine hier am Glase selbst bezeichnete Quantität. Ich verstehe, was Du sagen willst,« fuhr er fort, als er bemerkte, daß Detlev eine Einwendung beabsichtigte; »die Frau wird nach meiner Ueberzeugung sich nicht mehr sträuben, die Medicin einzunehmen. Ich hoffe auf ihre vollständige Wiederherstellung.«
»Hast Du Jobst seine Beschäftigung angewiesen?«
»Ja, und mir scheint, der Bursche ist brauchbar!«
»Hm, die Furcht vor den beiden Wächtern wird ihm wohl den Gehorsam und die Willfährigkeit beigebracht haben. Der Bursche war ein Quitzower, und den Leuten kann ich nicht ohne Weiteres Vertrauen schenken!«
Detlev verließ das Arbeitszimmer des Ritters, und dieser schritt nun in Gedanken versunken auf und ab.
»Ist denn,« murmelte er, »mein Gedächtniß wirklich so schwach geworden, daß ich mich nicht zu entsinnen vermag, wo ich die unglückliche Frau bereits gesehen habe? Und ich muß sie gesehen haben, ich muß sie kennen – doch warten wir es ab! – Dietz, Deine Schuld wächst furchtbar!«
Der Ritter verließ, wie verabredet, in der Nacht noch sein Haus und kehrte zur bestimmten Zeit wieder zurück.
Zu seiner Freude nahm er die täglich fortschreitende Besserung der Kranken wahr, und nach Verlauf von wenig Wochen war diese bereits so weit hergestellt, daß Suteminn es glaubte wagen zu dürfen, im Gespräch auf ihre Vergangenheit anzuspielen.
Leider blieben diese Versuche noch vergebens. Das Gedächtniß des Aermsten schien vollständig geschwunden zu sein. Das Niederdrückende dieser Wahrnehmung wurde zu gleicher Zeit aber nahezu aufgehoben durch eine Beobachtung, welche einen so tiefen Eindruck auf ihn machte, daß er im ersten Augenblick sich nur mit Mühe beherrschen konnte, seiner Ueberraschung nicht lauten Ausdruck zu
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