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Der beiden Quitzows letzte Fahrten

Der beiden Quitzows letzte Fahrten

Titel: Der beiden Quitzows letzte Fahrten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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weiter, sondern faßte die Stange, stemmte die Kniee kräftig gegen den Boden und zog. Der Stein gab nach; er löste sich von der Mauer ab und ließ sich ohne jegliches Geräusch nach innen ziehen; zwei Riemen waren in den Boden gefugt, in welchem sich jedenfalls einige Rädchen bewegten, auf denen er ruhte. Die entstandene Oeffnung war so groß, daß selbst ein starker Mann hindurchkriechen konnte, und mündete jenseits unter einer Steinbank, deren breiter Sitz sie vollständig verdeckte. Diese Vorrichtung war jedenfalls eines jener Geheimnisse, von denen Schwalbe gesagt hatte, daß nur er und der »Schwarze« sie kenne. Ohne weitere Ueberlegung und nur dem einen Drange, der bedrohten Frau beizustehn, folgend, schob er sich hindurch und sah sich in einem von hohen Mauern eingeschlossenen länglichen Vierecke, dem die Decke fehlte; es war das in Trümmer gegangene Schiff der Kirche.
    Kein Licht brannte, aber der Schein der Sterne ließ die beiden Gestalten deutlich erkennen, welche in feindseliger Haltung vor ihm standen. Der Mann war lang und schlank und schien Bedenken zu hegen, sich dem Weibe zu nahen, welches mit erhobenem Arme seines Angriffes wartete. Sie war hoch und voll gebaut; das aufgelöste Haar wallte ihr lang über den Körper herab, und ihre Formen zeigten eine Schönheit, welche selbst die lange Gefangenschaft nicht zu zerstören vermocht hatte.
    »Wage es nur, einen Schritt zu thun! Ich habe mehr als tausend Jahre gegen Deine widerliche Liebe gekämpft, aber ich habe Dich geschont, weil Deine Häßlichkeit mich erbarmte. Jedoch nun ist meine Geduld zu Ende, und der Tod erwartet Dich, wenn Du nicht von mir lässest!«
    »Meint Ihr?« fragte er. Mit einem raschen Griffe hatte er ihre bewaffnete Hand erfaßt und entriß ihr den Dolch. »So, jetzt habe ich Euch wieder, und nun wollen wir sehen, wer Erbarmen hat, Ihr oder ich!«
    Er hielt sie umfaßt und drückte sie fest und kräftig an sich. Sie wehrte sich gegen die gewaltsame Umarmung, aber ihre Kräfte reichten nicht zu, sich loszuringen.
    »Siehst Du, meine Taube, daß Du gehorchen mußt, wenn ich will. Komm; noch bist Du schön, und – halt, was ist das!« unterbrach er sich. Zwei Hände hatten ihn ergriffen und schnürten sich mit solchem Drucke um seine Arme, daß er die Frau fahren ließ, um sich gegen den unerwarteten Angreifer zu wenden. Dieser aber hatte nur diesen Augenblick erwartet, hob ihn empor und schleuderte ihn dermaßen zu Boden, daß sein Körper in allen Gliedern erkrachte. Dennoch aber hatte ihn der Fall nicht zu Schaden gebracht, denn noch ehe Uchtenhagen ihn wieder fassen konnte, war er aufgesprungen und hatte die Arme um ihn gelegt. Der Dolch war ihm entfallen; er mußte den Unbekannten so halten, daß dieser von seinen Waffen auch keinen Gebrauch zu machen vermochte. Dies that er und stieß dabei einen scharfen, durchdringenden Pfiff aus. Dieser Ruf galt auf alle Fälle seinen Genossen, und Uchtenhagen erkannte, daß er sich in der höchsten Gefahr befinde und vielleicht verloren sei, wenn es ihm nicht gelinge, den Gegner unschädlich zu machen. Es gelang ihm, seine Arme aus der Umschlingung zu befreien, und im nächsten Augenblicke stak sein Gnadegott in der Brust des Räubers. Dieser stieß ein heiseres Brüllen aus, fuhr mit den Händen convulsivisch durch die Luft und sank zu Boden.
    »Kommt, kommt,« raunte jetzt Karl der Frau zu; »bückt Euch und versucht, durch diese Oeffnung zu kommen! Dieser enge Weg führt zur Freiheit.«
    »Zur Freiheit?« frug sie zweifelnd. »Ich kenne die Freiheit nicht; ich weiß nicht, wie sie ist und auch nicht, was Ihr meint.«
    »Schnell, schnell,« drängte er, »sonst kommen sie und wir sind verloren!«
    »Sie? Wer? Ich bin schon längst verloren und Ihr seid es auch. Ich gehe nicht von hier, bis die kommen, die ich lieb habe. Ich habe sie erwartet nun fast Millionen Jahre; aber jetzt sind sie auf dem Wege. Hier im Herzen wohnt eine Stimme, die sagt es mir, und so darf ich nicht mit Euch gehen, denn dann würden sie mich ja nicht finden.«
    »Ja, Ihr habt recht, sie sind schon auf dem Wege,« antwortete er, auf ihre Idee eingehend, um sie zur Eile zu bewegen. »Ich soll Euch zu ihnen führen; kommt, sonst glauben sie, Ihr habt ihrer vergessen und wollt Nichts von ihnen wissen!«
    »Zu ihnen führen? Warum kommen sie nicht selbst?«
    »Weil man Euch nicht gehen lassen würde, wenn sie Euch losforderten. Wir müssen heimlich entweichen, denn wenn man uns bemerkt, so werden wir in Fesseln

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