Der Benedict Clan 01 - Auf immer und ewig
„Schläft er immer so fest?" fragte Kane leise.
Regina schüttelte heftig den Kopf. „Ich versuchte dir ja zu erklären, wie es sein würde."
Ja, das stimmte. Als sie davon sprach, hatte er es nicht so ernst genommen. Jetzt erkannte er den Ernst der Lage. Der Junge stand unter dem Einfluss von Medikamenten. Man hatte ihn regelrecht betäubt.
Sie sah zu ihm auf. In ihren Augen glänzten Tränen. Nur für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke, dann wandte sie hastig den Kopf ab, als wolle sie nicht, dass er ihren Schmerz sah. In diesem Moment spürte Kane das überwältigende Bedürfnis, den Schmerz zusammen mit ihr zu tragen, denn er war ein Teil von ihr. Und noch verzweifelter war sein Wunsch, ihn ihr abzunehmen, sie davon zu befreien - wie auch immer. Ihm wäre jedes Mittel recht gewesen. Die Erkenntnis überraschte ihn dermaßen, dass er nur stumm dastehen und sie beobachten konnte.
Regina sprang vom Bett auf. Mit wenigen Handgriffen hatte sie die Sachen des Jungen zusammengesucht: Jeans, Pulli, Söckchen, Turnschuhe. Hastig stopfte sie alles in einen bunten Rucksack, den sie Kane reichte. Dann wickelte sie den Jungen in seine Bettdecke und nahm ihn auf den Arm.
Es ging Kane gegen den Strich, Regina das schlafende Kind tragen zu lassen, aber ehe sie nicht in Sicherheit waren, musste er in der Lage sein, etwaige Angriffe abzuwehren. Er warf einen Blick in den Flur hinaus, erhielt ein Okay-Zeichen von Luke, der am anderen Ende Posten bezogen hatte, und winkte Regina hinaus. Zusammen gingen sie zum Wohnzimmer, wo Luke sich ihnen anschloss. Sekunden später waren sie an der Haustür. Kane nahm seine Pistole in die linke Hand und legte die rechte auf die Türklinke. Gleichzeitig trat er beiseite, um Regina mit ihrer schweren Last den Vortritt zu lassen.
In diesem Moment flog unter seiner Hand die Tür auf, wäre ihm an den Kopf gekracht, wenn er nicht geistesgegenwärtig zurückgesprungen wäre. Der Kronleuchter unter der Decke wurde angeknipst. Von der plötzlichen Helligkeit geblendet, bewegte sich Kane in dieser ersten Schrecksekunde ohne nachzudenken. Um die Hand frei zu haben, ließ er den Rucksack fallen und schob sich schützend zwischen Regina und die Gefahrenquelle. Halb gebückt, Schulter an Schulter mit Luke, baute er sich vor der Tür auf.
Der Mann, der im Türrahmen stand, war Gervis Berry. Kane hatte genug Bilder von dem vierschrötigen Bestattungsunternehmer gesehen, um ihn auf den ersten Blick zu erkennen. Und hätte das nicht gereicht, wäre die kleine, direkt auf Kanes Bauch gerichtete Pistole ein überzeugender Beweis gewesen.
„Na so was, wen haben wir denn hier?" fragte Berry mit gespielter Heiterkeit. „Da scheint sich doch tatsächlich jemand mit meinem Sohn davonzumachen."
„Reginas Sohn, soweit ich informiert bin", erwiderte Kane und richtete sich langsam auf, weil er hoffte, den Kampf auf verbaler Ebene ausfechten zu können.
„Glauben Sie, es war eine jungfräuliche Geburt?" Berry lachte über seinen eigenen Sarkasmus.
„Ich weiß, dass Sie nichts damit zu tun hatten."
Berrys Züge nahmen einen unangenehmen Ausdruck an.
„Das hat sie Ihnen also erzählt? Dann ist sie wohl auf Ihre Seite übergewechselt. Sind Sie dieser Benedict?"
„Der bin ich." Kanes Stimme klang schroff. Achtsamkeit lag in seinem Blick.
„Das dachte ich mir. Ich frage mich, was die Geschworenen von dieser Methode der Zeugenbeeinflussung halten werden."
„Zeugen?"
Berry deutete mit seiner Waffe auf Regina. „Ich nehme an, sie hat sich Ihre Hilfe mit Informationen über mich erkauft. Und das ist vermutlich nicht alles, womit sie handelt. Vielleicht hat sie bei ihrem Tauschgeschäft ja persönliche Dienste als Gegenleistung geboten."
„Gervis!"
Regina war hinter Kane hervorgetreten. Kane bemerkte es mit Erschrecken. Es war ihm klar, dass sie Berry abzulenken versuchte. Mit dem Jungen auf dem Arm ging sie auf ihn zu. Vermutlich glaubte sie, dass Berry nicht auf sie schießen würde. Kane war sich da nicht so sicher. Der Magen krampfte sich ihm zusammen, als er sah, wie Berry den Lauf seiner Pistole auf sie richtete.
„Du brauchst gar nicht so schockiert zu tun", höhnte Berry, wobei er sie keinen Moment aus den Augen ließ. „Meinst du, ich sollte nicht so reden, weil wir Familie sind? Nun, das dachte ich bisher auch. Und jetzt arbeitest du plötzlich gegen mich. In welcher Familie ist so etwas üblich?"
„In derselben, in der mein Sohn zu erpresserischen Zwecken benutzt wird",
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