Der Benedict Clan 01 - Auf immer und ewig
nur hoffen, dass er bei Gervis gut aufgehoben war. Noch nie hatte sie ihren Sohn allein bei ihm zurückgelassen. Auf seine Art mochte Gervis den Jungen. Aber Stephan machte ihn nervös. Es missfiel ihm, dass der Junge so viel Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Dabei wirkte es manchmal fast so, als hätte Gervis Angst vor Stephan, als fürchtete er, sich ihm gegenüber falsch zu verhalten.
Plötzlich sehnte sie sich danach, Stephan in den Armen zu halten, seinen mageren kleinen Körper an sich zu drücken, ihn sagen zu hören, dass er sie lieb hatte. Seit Stephan diese Sonderschule besuchte, hatte sie sich solche Gedanken abzugewöhnen versucht. Aber es fiel ihr schwer, unglaublich schwer. Sie hatte sich von Gervis zu dieser Regelung überreden lassen, auf den Experten gehört, den er hinzugezogen hatte, um Stephan zu untersuchen. Und sie hatte sich gefügt, als dieser Mann ihr erklärte, dass Stephan in ein Heim gehöre. Was war ihr anderes übrig geblieben? Schließlich wollte sie das Beste für ihr Kind. Aber Stephan fehlte ihr so sehr. Und irgendwie, tief in ihrem Innern, zweifelte sie daran, dass der Junge eine so intensive Therapie benötigte. Manchmal erschien sie ihr falsch.
So wie dieser Abend falsch gewesen war. Alles erschien ihr falsch: dass sie von Stephan getrennt war, dass sie unter einem listigen Vorwand nach Turn-Coupe gekommen war, dass sie Lewis Crompton hinters Licht geführt hatte, dass sie sich mit Kane einließ, um Informationen aus ihm herauszuholen. Und der allergrößte Fehler war, dass sie Gefühle für einen Mann entwickelt hatte, der sie hassen würde, wenn er erfuhr, wer sie war und was sie getan hatte.
Sie konnte es nicht länger ertragen, es ging einfach nicht mehr. Es wurde Zeit, dass sie dieser Farce ein Ende setzte. Sie musste Gervis sagen, dass sie ihre Mission nicht ausführen konnte.
Würde sie es wagen?
Mit Gervis konnte man dieser Tage kaum reden. Nachdem er sie jahrelang wie seine kleine Schwester behandelt hatte, schienen auf einmal sämtliche freundschaftlichen, familiären Gefühle in diesem Prozess unterzugehen, den er auf Biegen oder Brechen gewinnen wollte. Manchmal fragte sie sich ohnehin, was sie ihm wohl bedeutete, ob er es bequem fand, eine Art Empfangsdame im Haus zu haben oder aber eine lästige Verantwortung in ihr sah, die seine Mutter ihm hinterlassen hatte, einen Teil seines Lebens, an den er sich wohl oder übel hatte gewöhnen müssen.
Wenn Gervis sie fallen ließ, wäre sie mutterseelenallein. Könnte sie die Einsamkeit ertragen, das Wissen, niemanden zu haben, auf den sie sich verlassen konnte, niemanden, der ihr in schwierigen Situationen zur Seite stand? Wäre sie allein gewesen, hätte sie es gewiss gekonnt. Aber sie war nicht sicher, ob sie in der Lage war, ihren Sohn angemessen zu versorgen, ihm die Pflege zu geben, die er brauchte. Und Stephan war derjenige, auf den es am meisten ankam.
Es lief im Endeffekt immer auf dasselbe hinaus. Sie musste tun, was das Beste für ihren Sohn war. Regina seufzte resigniert und griff nach dem Telefonhörer.
Gervis nahm nach dem zweiten Klingeln ab. „Es wird aber langsam Zeit", knurrte er, als er ihre Stimme hörte. „Ich habe mir schon überlegt, ob ich Slater zu dir schicken soll, damit er nachsieht, ob alles in Ordnung ist."
„Das kann nicht dein Ernst sein!"
„Aber ja, verlass dich drauf."
„Wenn du wüsstest, was er für ein Typ ist, würdest du anders denken."
„Ja, ja. Also, was ist da unten los?"
„Nichts. Es gibt nichts Neues. Wie geht es Stephan? Schläft er?"
„Was denn sonst? Soll er etwa die ganze Nacht aufbleiben und warten, dass seine Mami anruft?"
„Musst du in diesem Ton mit mir reden, Gervis?"
„Warum nicht? Ich habe gehört, du treibst es mit diesem Dorf-Anwalt."
„Hast du mir nicht nahe gelegt, dass ich mich mit ihm einlassen soll?"
„Also, konntest du etwas in Erfahrung bringen, oder amüsierst du dich bloß?"
Das brachte das Fass zum Überlaufen. Jetzt hatte sie endgültig genug. „Wenn du weiterhin in diesem Ton mit mir sprichst, hänge ich auf", erklärte sie, jedes einzelne Wort betonend.
„Das würde ich dir nicht raten!" sagte er schnell, wenn auch in einem gemäßigteren Ton.
Regina konnte ihn in heftigen, kurzen Stößen atmen hören, als hätte er Mühe, die Wut zu unterdrücken, von der sie nichts merken sollte. Er musste mit dem Handy am Ohr durch die Wohnung laufen, denn sie hörte deutlich seine Schritte auf dem Parkettfußboden.
„Wie geht
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