Der Benedict Clan 03 - Die Millionenerbin
Mensch auf der Welt, dem es vielleicht nicht ganz egal war, ob sie lebte oder tot war. Während ihr diese Erkenntnis dämmerte, spürte sie, wie sich ihre Wut verflüchtigte und nur Traurigkeit und eine unendliche Müdigkeit hinterließ.
„Halten Sie es so", befahl der Sheriff wieder, während er ihre Hand mit der Handfläche vorsichtig, aber fest nach unten auf den Verband drückte. Er verharrte eine Sekunde reglos, dann nahm er die Hand weg und langte wieder nach der Schere. Er zerschnitt das Oberteil ihres Jogginganzugs vom Halsausschnitt bis zur Schulter und trennte den Ärmel heraus, dann legte er den winzigen Spitzen-BH darunter frei, indem er den blutdurchtränkten Stoff wegzog. Anschließend machte er wieder eine Pause.
Tory biss die Zähne zusammen, einerseits, um ihren Protest hinunterzuschlucken und andererseits, um sich gegen die Welle des Schmerzes zu stemmen, die sein Tun hervorgerufen hatte. Er schaute ihr forschend ins Gesicht, sagte jedoch nichts, wofür sie ihm dankbar war.
Mit gnadenloser Effizienz riss er weitere Verbandspäckchen auf, nahm den Mull heraus und klebte ihr den ganzen Packen mit einem breiten Pflasterstreifen über die immer noch stark blutende Wunde. Sie spürte, dass sie wieder kurz davor war, das Bewusstsein zu verlieren. In ihren Ohren war ein Rauschen, das an- und abschwoll wie die Brandung am Strand von Sanibel, ihrem liebsten Ort auf der Welt. Manchmal, wenn sie sich mit dem Meer am meisten im Einklang fühlte, legte sie sich mit den Füßen in die Brandung und wartete auf die Flut. Nach und nach schwappte das Wasser immer höher, bis es schließlich über ihrem Kopf zusammenschlug und sie unter sich begrub. Und auch jetzt war ihr, als ob eine dunkle Welle auf sie zurollte. Wenn sie sich nicht mit aller Kraft dagegenstemmte, könnte es sein, dass sie fortgerissen wurde.
Die Augen fielen ihr zu und blieben geschlossen. Undeutlich spürte sie, wie ihr der Sheriff Blut von der Haut abwischte, wobei er aufpasste, dass er nicht an die Wunde kam. Der durchdringende Geruch von medizinischem Alkohol hing in der Luft, dann verflüchtigte er sich wieder.
„Sherry? Wo bleibt der Krankenwagen?" In der Stimme des Mannes, der sich über sie beugte, schwang eine neue Schärfe mit.
„Tut mir Leid, Sheriff", gab die Frau in der Zentrale so prompt zurück, als ob sie die Veränderung ebenfalls bemerkt hätte. „Ich sage Bescheid, dass sich der Fahrer bei Ihnen meldet."
Stille senkte sich herab, die nur von dem leisen Summen der Insekten und dem Rascheln von Papier und Plastik angereichert wurde, das der Sheriff beim Einsammeln des Verpackungsmülls verursachte. Dann meldete sich der Fahrer des Krankenwagens über Funk und sagte, dass es noch etwa fünf Minuten dauern werde.
Tory hörte, wie der Sheriff aufstand. Unter seinen Schuhen knirschte der Kies, als er zu dem Streifenwagen ging. Die blauweißen Stroboskoplichter zerschnitten sogar hinter ihren geschlossenen Lidern mit blindmachender Intensität die Nacht. Jetzt betätigte der Sheriff auch noch die Lichthupe, um den Fahrer des Krankenwagens schneller auf sie aufmerksam zu machen.
Er kam nicht zurück. Tory fühlte sich von Minute zu Minute verlassener. Sie versuchte das Gefühl zu ignorieren, indem sie sich sagte, dass sie nach allem, was passiert war, durcheinander war und dass der Mann alles andere als ihr Rettungsanker oder ihr Schutzengel war. Er hatte ihr gegenüber seine Pflicht erfüllt, und mehr war von ihm nicht zu erwarten. Sie kannte ihn nicht und brauchte ihn nicht, und ganz gewiss machte es ihr nichts aus, wenn er wegging und sie allein ließ.
Es half nichts.
Allein, du bist immer allein, dachte sie erschauernd. Sie hatte keine echten Freunde und auch keine Familie, da war niemand, der sie verstand oder den es interessierte, wer sie wirklich war. Aber das war noch nie anders gewesen, deshalb müsste sie inzwischen eigentlich längst daran gewöhnt sein. Sie hatte es gelernt, ihre Ängste zu verstecken und sich abgebrühter und weltgewandter zu geben, als sie in Wirklichkeit war; sie konnte in die verschiedensten Rollen schlüpfen, mal war sie das Playgirl, dann wieder die Prominente oder die Prinzessin, je nach Bedarf. Aber sie wusste, dass es lauter Masken waren, hinter denen sie ihre Unsicherheit verbarg. Mit der Zeit hatte sie solch ein Geschick darin entwickelt, dass sie sich manchmal selbst fragte, wie eigentlich die echte Victoria Molina-Vandergraff war.
Schließlich kam der Sheriff doch noch zurück,
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