Der Benedict Clan 05 - Fremder Feind
hatte. Sie hatte nie über eigene Kinder nachgedacht, und sie wagte das auch jetzt nicht. „Ich kann nicht", sagte sie. Jedes Wort schmerzte. „Ich kann es nicht machen."
Treena sah sie einen Moment lang beunruhigt an, dann hob sie Uma von Chloes Schoß und brachte sie ins Bett, wo sie die Decke über ihre Tochter ausbreitete. „Du kannst dich nicht verweigern. Du hast heute gesehen, welche Konsequenzen das hat."
„Ahmad hat das gut eingefädelt, nicht wahr?"
„Allerdings."
Treena beugte sich über das Nachtlager und nahm eine Stoffpuppe fort, die zu dicht am Gesicht des neun Monate alten Mädchens lag, das einen Daumen in den Mund gesteckt hatte. Dann legte sie eine Hand auf die Stirn der Kleinen, und im selben Moment nahm ihre dunkle Hautfarbe einen blassen Ton an.
„Was ist los?" fragte Chloe beunruhigt.
„Sie hat Fieber, hohes Fieber. Oh, ich habe es ja gewusst. Wir hätten sie nicht dem armen, dummen Hausmädchen überlassen sollen, als wir in Kashi waren. Sie sitzt nur da und legt die Hände zwischen die Knie, während meine kleine Anashita überall hinkrabbelt und irgendwelchen Schmutz in den Mund nimmt."
Chloe flüsterte einen Fluch, während sie sich neben ihrer Stiefschwester hinkniete. Die Frau, von der sie sprach, war eine Witwe, die an der Hintertür gebettelt und sich als Dienerin angeboten hatte, wenn sie im Gegenzug etwas zu essen und ein Bett in einer Ecke des Hinterzimmers bekam. Ahmad war einverstanden gewesen, weil er in ihr eine billige Arbeitskraft gesehen hatte. Treena hatte Mitleid mit ihr gehabt, doch die Frau war in ihrem tiefsten Elend kaum in der Lage, irgendeine Arbeit zu verrichten. Und nun war es so weit gekommen.
Chloe empfand das gleiche Entsetzen, das sie aus Treenas Stimme heraushörte. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, eines der kleinen Mädchen zu verlieren. Doch ohne Impfungen gegen Kinderkrankheiten und wegen des Mangels an Antibiotika, die außerdem zu einem viel zu hohen Preis gehandelt wurden, starben Kinder hier sehr schnell. Ihr Körper hatte einem Magen-Darm-Virus oder einer der vielen anderen Infektionen, die so gut wie jedes Kind durchmachte, nichts entgegenzusetzen. Frauen wie ihre Stiefschwester brachten viele Kinder zur Welt, da einerseits Geburtenkontrolle verboten war, sie andererseits aber auch hofften, dass so wenigstens ein paar Kinder überleben würden. Trotz der Schmerzen, trotz der Gefahren, die von den primitiven Umständen bei der Geburt ausgingen, und trotz der hohen Kindersterblichkeit trugen diese Frauen ein Kind nach dem anderen aus. Manchmal fand Chloe, dass sie damit weit mehr Mut unter Beweis stellten als die Männer.
„Ein Arzt", überlegte sie laut. „Ismael muss ihn holen."
Treena schüttelte den Kopf. „Ahmad wird es nicht erlauben."
Sie hätte es wissen sollen, und sie hätte es auch gewusst, wenn sie nur einige Sekunden lang innegehalten hätte, um nachzudenken. Voller Verbitterung sagte sie zu Treena: „Ich bete zu Gott, dass dein nächstes Kind ein Junge ist. Vielleicht hält Ahmad dann die Ausgaben für einen Arztbesuch für sinnvoll."
„Die alten Frauen haben gesagt, dass es ein Junge sein wird." Der schwache Versuch eines Lächelns zuckte um ihre Mundwinkel, als sie wieder ihren Bauch berührte.
„Wir können dann immer sagen, dass er krank ist, dann bekommen die Mädchen durch ihn ihre Medizin. Im Moment müssen wir aber das Fieber senken."
Sie weckte das Kindermädchen, damit es Wasser erhitzte. In der Zwischenzeit badeten sie das Kind in kühlem Wasser, und in das auf dem Ofen abgekochte gaben sie Salz, Zucker und Zitronensaft und rührten, bis die Mixtur abgekühlt war. Dann begannen sie abwechselnd, dem Kind winzige Mengen einzuflößen. Die ganze Zeit über beteten sie unablässig.
Durch diesen Notfall war das Thema Heirat in den Hintergrund gerückt. Chloe dachte, dass Treena das, was sie gehört hatte, vielleicht falsch verstanden hatte. Wenn nicht, dann konnte sich der auserkorene Bräutigam immer noch als nicht an ihr interessiert erweisen, die Verhandlungen über den Brautpreis konnten scheitern, oder Ahmad würde einfach verärgert seine Meinung ändern. Nichts war wirklich offiziell, bis man ihr sagte, was geschehen würde. Sie würde abwarten; später war es dann immer noch früh genug, über ihr Schicksal zu klagen.
2. KAPITEL
Am nächsten Morgen ging Chloe der Mann nicht aus dem Kopf, der sie auf dem Basar erwartete. Sie stellte sich vor, wie er zwischen den Ständen umherschlenderte,
Weitere Kostenlose Bücher