Der Benedict Clan 05 - Fremder Feind
doch, dann sind sie klug genug, es nicht auszusprechen", erwiderte April lächelnd. „Nein, ernsthaft. Wir tragen alle unseren Teil zur Familie bei. Wir gehören mit zum Team."
Zum ersten Mal gestattete sich Chloe, sich zu fragen, ob sie wirklich in der Lage sein könnte, für ihre Freunde in Hazaristan das zu tun, was wichtig und notwendig war, ohne dafür Wade verlassen zu müssen. Sie war so lange Zeit davon ausgegangen, es sei für eine verheiratete Frau unmöglich, weiterhin zu arbeiten, dass sie mittlerweile davon fest überzeugt war. Aber sie war jetzt nicht mehr in Hazaristan, und Wade war kein Mann aus diesem rückständigen Land. Er war anders, er war ein Benedict aus Louisiana. Sie dachte zurück und erkannte, dass er zwar nicht mit ihren Vorstellungen und Zielen einer
Meinung war, dass er ihr aber trotzdem nicht das Recht auf diese Ansichten abgesprochen hatte. Und wenn sie davon sprach, hörte er immer zu.
„Wie macht man das?" fragte sie mit leiser Stimme. „Wie findet man dieses Vertrauen, das man braucht, um einen Mann zu heiraten und zu wissen, dass die Hoffnungen nicht enttäuscht werden?"
„Das ist nicht so einfach", antwortete April ehrlich. „Das Wichtigste dürfte wohl Mut sein."
„Und wo findet man diesen Mut?"
„Dort, wo Frauen ihn schon immer gefunden haben. Dort findet man auch das Vertrauen, das notwendig ist, um einen Mann in seinen Körper und in sein Leben einzulassen, um das Risiko einzugehen, Kinder in die Welt zu setzen. Wenn du einen Mann liebst, dann sind diese Dinge einfach da, sie sind Teil des Lebens."
„Ja", sagte Chloe und dachte an die Frauen, die sie zurückgelassen hatte, diese Frauen mit ihrem gewaltigen, unerschütterlichen Mut. „Aber wie findet ihr die Zeit, noch eigene Dinge zu leisten? Ich meine, kommt es euch nicht so vor, als würdet ihr etwas oder jemanden vernachlässigen?"
„Frauen nehmen sich die Zeit für das, was sie wirklich machen wollen, und die, von denen sie geliebt werden, helfen nach besten Kräften aus. In einer idealen modernen Beziehung müssen sich beide Seiten anpassen, die Frau und der Mann. Es führt zu nichts, wenn der eine zum Märtyrer für den anderen wird. Dabei verlierst du dich nur selbst, und in der Folge beginnst du, den zu hassen, den du mal geliebt hast."
„Genau davor habe ich Angst", murmelte Chloe fast zu sich selbst und beinah unhörbar.
„Ist dir klar, was du da eben gesagt hast?" April aß den letzten Löffel Gumbo, dann stand sie auf, um die kleine Schüssel in die Spüle zu stellen.
„Oh, ich wollte aber nicht..."
„Ich glaube, es ist dir klar. Ich bin ja so froh. Wir - also die anderen Frauen und ich - fürchteten, du würdest nichts für Wade empfinden. Wir hatten befürchtet, du würdest dich erst an ihn klammern und ihn dann fallen lassen, sobald du dich in Sicherheit fühlst."
Das war also der Grund für den wenig herzlichen Empfang gewesen. Sie hatte die Benedict-Frauen offenbar falsch eingeschätzt. Deren Reaktion auf sie hatte nichts damit zu tun, was oder wer sie war, sondern damit, was sie mit einem aus ihren Reihen machen würde. Hatte sie möglicherweise auch Wade falsch eingeschätzt? Der Gedanke bereitete ihr Magenschmerzen, vor allem, als sie an seinen Gesichtsausdruck dachte, kurz bevor er das Badezimmer verlassen hatte.
Im Gegenzug war es aber durchaus möglich, dass die Benedict-Frauen sie keineswegs falsch eingeschätzt hatten. Sie benetzte ihre Lippen, ehe sie wieder sprach: „Ich weiß nicht, ob ich bleiben kann."
„Gibt es jemanden, der irgendwo anders auf dich wartet?"
„Nicht wirklich."
April schien kurz zu zögern, dann sprach sie weiter: „Ich möchte mich nicht in die Angelegenheiten anderer einmischen, aber es wäre vielleicht das Beste, so lange keine schwerwiegenden Entscheidungen zu treffen, bis das hier vorüber ist. Du liegst Wade wirklich sehr am Herzen. Gib ihm eine Chance."
„Findest du? Dass ich ihm am Herzen liege, meine ich?" Sie wandte sich ab, weil sie nicht das Mitleid sehen wollte, das in den Augen der Frau möglicherweise erkennbar wurde.
„Er hätte dich auch woanders hinbringen können, damit du beschützt bist. Aber er hat dich nach Grand Point gebracht, und du kannst mir glauben, dass das etwas zu bedeuten hat."
So hatte Chloe das noch nicht gesehen. Selbst wenn April Recht hatte, war doch längst alles zu spät.
Der Schmerz von Trostlosigkeit und Bedauern stieg in ihr auf - nicht nur wegen all der Dinge, die sie getan hatte, sondern auch
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