Der Benedict Clan - Zwischen Hoffen und Bangen
können, aber wenigstens konnte sie es ihrer Tochter ersparen, ihn ohnmächtig zu sehen. Später würde sie sich einen guten Grund dafür ausdenken müssen, warum sie ihn hier festhielt. Für Lainey war alles entweder schwarz oder weiß, richtig oder falsch. Gelegentlich kam Janna nicht umhin, sich zu fragen, ob moralische Unbarmherzigkeit womöglich erblich war.
Einen Moment hielt sie inne, um Luft zu schnappen, dann zerrte sie Clay weiter, bis er in der Mitte des kleinen Zimmers lag. Weiter konnte sie nicht mehr.
Ihre Rückenmuskeln brannten wie Feuer, die Kiefer schmerzten, weil sie sie so fest aufeinander gepresst hatte, und vor ihren Augen tanzten schwarze Pünktchen. Leise stieß sie eine Verwünschung aus, während sie sich neben Clay Benedict zu Boden sinken ließ. Nur eine kleine Verschnaufpause, dann würde sie sich überlegen, wie sie ihn aufs Bett hieven und dort festbinden könnte. Bestimmt schaffte sie es. Versuchen würde sie es auf jeden Fall – sobald sie wieder Luft bekam.
„Janna! Janna, Mädel, sin’ Se da?“
Unmittelbar nach dem Ruf wurde die Fliegengittertür zugeknallt, durch die man auf die hintere Veranda der Hütte kam, dann hörte man schlurfende Schritte, die leicht zu identifizieren waren. Alligator Arty stattete ihr einen Besuch ab.
Oh Gott! Sie hatte ja gleich gewusst, dass es nicht so leicht werden würde, Clay Benedict ohne weiteres in ihre Gewalt zu bringen.
Janna schlug sich die Hände vors Gesicht und versuchte krampfhaft nachzudenken. Natürlich musste das alte Sumpfhuhn und der einzige Mensch weit und breit ausgerechnet heute und noch dazu genau in diesem Moment vorbeikommen. Bei dem Glück, das ihr normalerweise beschieden war, hatte er wahrscheinlich auch noch Clay Benedicts Cousin, den Sheriff von Tunica Parish, dabei.
„Janna? Hamse was an? Ich komm jetzt rein.“
„Ich bin sofort bei Ihnen“, rief sie.
Hastig sprang sie auf, verließ das Zimmer und zog die Tür hinter sich zu. Sie hörte, dass das Schloss nicht richtig einrastete, aber sie kümmerte sich nicht darum. Arty machte sich seine eigenen Regeln und steuerte sein jeweiliges Ziel ohne Umschweife oder falsche Scham an. Wahrscheinlich würde er es sich auch nicht nehmen lassen hereinzuplatzen, wenn sie gerade im Bad war.
Er stand noch an der Fliegengittertür in der Küche, die auf die Hinterveranda führte – eine ausgemergelte alte Vogelscheuche, der die erbarmungslose Südstaatensonne im Laufe der Jahrzehnte jedes Gramm Fett aus dem Körper gebrannt hatte. Sein struppiger Bart berührte den Kragen des sauberen, aber fadenscheinigen Hemdes, und seine durchdringenden Augen waren wie das Wasser in den Sümpfen, manchmal klar und manchmal trüb und von einer ganz eigenartigen Farbe, weder blau noch braun und auch nicht grün, sondern eine Mischung aus allem. Freundlich grinste er sie an, während er seinen komischen Filzhut in der Hand drehte, der so ramponiert und altersfleckig war, dass man sein Geburtsjahr leicht irgendwo in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ansiedeln konnte, einer Zeit, in der Kopfbedeckungen für Männer noch Hochkonjunktur gehabt hatten.
„Na, wie läufts denn so, Janna, Ma’am?“ fragte er mit einem leichten Nicken, das wohl eine knappe Verbeugung andeuten sollte. „Ich hab eben beim Vorbeipaddeln Clays Jenny gesehen und dachte mir, da frag ich doch mal nach, was er so lang bei Ihnen macht.“
„Sie haben was gesehen?“ Janna konnte sich auf seine Worte keinen Reim machen, aber sie war sofort alarmiert, weil er aus irgendeinem Grund zu wissen schien, dass Clay hier aufgehalten worden war.
„Sein Boot. Heißt Jenny, weiß der Teufel warum, weil Clay nie … na, is’ ja egal. Wo isser denn?“
„Ich weiß wirklich nicht, was ich Ihnen sagen soll.“ Das war die schlichte Wahrheit.
Der alte Mann riss erstaunt die Augen auf. „Is’n Fehlschluss, Frau, er muss irgendwo hier sein. Ich mein, hier gibts doch meilenweit nix außer der Hütte und dem See und dem Sumpf.“
„Bitte, sprechen Sie ein bisschen leiser. Lainey schläft“, ermahnte Janna ihn. „Also … ja, Clay Benedict hat vorhin kurz bei mir reingeschaut, aber …“
„Warum, zum Teufel, sollt’ er das denn machen, frag ich Sie?“ wunderte sich Arty, wobei er seine Stimme kaum ein halbes Dezibel senkte und einen Schritt auf sie zu machte, so dass sie instinktiv zurückwich. „Er hat mir doch versprochen, dass er sich Beulah anschaut. Ich wart jetzt schon seit Stunden auf ihn, aber er
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