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Der Bernstein-Mensch

Der Bernstein-Mensch

Titel: Der Bernstein-Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Benford & Gordon Eklund
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in ihr Bein. Sie wirbelte davon, am Stoßfänger der Fähre vorüber, und prallte gegen die andere Seite der Bay. Ein brüllendes Rauschen strömte durch ihren Kopf. Bin ich jetzt tot? fragte sie sich.
    Wo war die Sauerstoffflasche ihres Anzugs? Sie hatte vergessen, sie in die Deckshalterung zu klemmen, und jetzt, da sie verzweifelt suchend umherschaute, war sie nirgends zu sehen.
    Bradley brüllte unzusammenhängend in ihren tauben Ohren. Wenn sie ihn hören könnte, mußte das wohl bedeuten, daß sie doch noch nicht tot war. Er würde alles auf dem Video mitansehen. So war sie tatsächlich noch dazu gekommen, ihre Vorstellung zu geben: der abgetrennte Schlauch, der wild umherschlug und sich um sich selbst schlang, das Mädchen, das hilflos durch die Bay flog …
    Die Sauerstoffflasche war fort. Krampfhaft bemühte sie sich, klar zu denken. Es blieb ihr nur der Schlauch. Sie konnte das Ende nicht erwischen; der Schlauch peitschte umher wie eine wütende Schlange. Sie suchte nach dem Schneidelaser. Er hing in seiner Halterung an der anderen Seite der Bay. Sie stieß sich ab und rollte herum, um den Aufprall mit dem Rücken aufzufangen. Der Laser war ein kleines Präzisionsinstrument, das sie mit einer Hand bedienen konnte. Sie riß ihn aus der Aufhängung und machte ihn betriebsbereit. Ihre Ohren pochten schmerzhaft. Sie stöhnte leise.
    Jetzt der Schlauch. Wieder stieß sie sich ab und trieb träge zur Anschlußstelle des Luftschlauches, wo dieser mit dem Orb verbunden war. Der Schlauch schlug und schnappte. Sie achtete nicht darauf. Das Stampfen in ihren Ohren toste wie riesige Wogen in einem Sturm. In ihrer Brust brannte es. Die Welt bewegte sich in warmer, fauler Gemächlichkeit. Es war Zeit genug für alles – für ihre Aufgabe, für einen Blick auf die tanzenden, rosafarbenen Bänder des Jupiter und für mehr.
    Unter Aufbietung ihres ganzen Willens ergriff sie den Schlauch, hielt den Schneidelaser gegen das Anschlußstück und schaltete ihn ein. Ein dünner gelber Strahl schoß hervor und durchschnitt den Schlauch. Mit einem Luftstoß flog das amputierte Stück davon. Sie konnte das Gas sehen; die kleinen Lichter kräuselten sich in ihm. Seltsam – ein angeblich unsichtbares Gas. Purpurrote Flecken erschienen in ihren Augenwinkeln und bildeten verrückte, beinahe sinnvolle Muster. Sie versuchte, sich auf die Farben zu konzentrieren, aber …
    Nein. Sie zog den Schlauch, der an der Rückseite ihres Helmes hing, nach vorn und kappte ihn auf Armeslänge. Dann warf sie sich nach vorn, preßte den Stummel ihres Helmschlauches gegen den Anschluß, der aus der Hülle des Orb hervorragte, und zwängte ihn, gegen die herausströmende Luft ankämpfend, über den Stutzen. Es gab einen Grund dafür, dies zu tun. Es war wichtig. Es war etwas, das weit, weit zurücklag. Es …
    Es knackte in ihren Ohren. Die purpurne Finsternis verlor sich und wehte davon. Mit beiden Händen hielt sie den Schlauch auf den Stutzen gepreßt und atmete keuchend in kurzen, schnellen Zügen. Sie schwebte, fest am Luftstutzen verankert.
    Sobald sie konnte, sagte sie Bradley, er solle still sein. „Ich bin okay. Siehst du das nicht? Jetzt schick mir jemanden heraus – bitte. Rette mich.“
     
    Bradley Reynolds war überzeugt, daß Tolstoi recht hatte – die Ereignisse formen den Menschen, nicht das Universum. Eine Zeit lang hatte er geglaubt, diese enervierenden Sternenanbeter seien der Vektor seines Lebens gewesen, die seine Geschichte besiegelten, als sie auf ihrer Diamantenkette von Explosionen aus dem Sonnensystem hinausritten. Dann war er überzeugt gewesen, das Kloster sei der wichtigste Faktor. Und jetzt war er hier, fünfundneunzig Jahre alt und eingeschlossen in einem künstlichen Satelliten, einer Blechbüchse, die den Jupiter umkreiste. Und so hatte er schließlich aufgehört, an seine Selbstbestimmung zu glauben. Er machte die Geschichte nicht, wenngleich er weiß Gott genug davon mit angesehen hatte. Nein, er war ein unfreiwilliger Passagier im Strom der Zeit. Die einzige Wahl, die er mit Bewußtsein getroffen hatte, auf dem Mars und mit Jonathon und in Afrika, war gewesen, zu schwimmen und nicht zu versinken. Es war töricht, so sich abzukämpfen und ein fernes Ufer erreichen zu wollen, irgendein Trugbild des Geistes. Der Strom selbst war das Ziel.
    Er betrachtete sein Büro. Dünne Kiefernholztäfelung. Ein Leichtbautisch mit einem Rohrrahmen. Ein 3-D von der Brandung in Baja. Das leise Summen von Maschinen drang beständig

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