Der Bernstein-Mensch
wahr?“
„Weil Kastor jetzt tot ist?“ Er schüttelte den Kopf. „Das finde ich eigentlich nicht fair. Er würde aussehen wie ein Narr, weil er es verheimlicht hat – wie ein Narr oder Schlimmeres.“
„Aber er war ein Narr – und Schlimmeres.“
„Nein. Ich habe darüber nachgedacht. Ich werde es ihnen sagen, aber nicht sofort. Ich will nicht den Ruf dieses Mannes ruinieren.“
„Aber der Mann ist tot , verdammt!“
„Es tut mir leid, Morgan.“
„Aber Sie haben die Absicht, es ihnen später zu sagen? Sie werden keine albernen, dramatischen Spielchen spielen – wie Kastor?“
„Nein, ich werde es ihnen sagen.“
„Versprechen Sie’s.“
Er schien verwirrt, aber er nickte. „Also gut, ich verspreche es.“
All dies zwang sie zu der Erkenntnis, daß sie furchtbar allein war. Gab es sonst niemanden – Mann, Frau oder Tier –, der wirklich begriff, wie überaus winzig ein menschliches Wesen war? Dies war der Mars, verdammt noch mal, und hier gab es eingeborenes Leben! Wer konnte sich zu einer solchen Zeit und an einem solchen Ort über den Ruf eines toten Mannes Gedanken machen?
Smiths Stimme kam hoch und schrill über das Radio. „… hier ist Fresno . Nixon Basis, hier ist Fresno .“
Reynolds sagte: „Fresno , hier ist Hellas Basis. Paul, ich habe schreckliche Nachrichten. Colonel Kastor ist heute tödlich verunglückt.“
„Oh nein“, sagte Smith.
Loretta Morgan lächelte, verkniffen. Ihr verdammten Heuchler , dachte sie. Wenn der Zeitpunkt kam, würden sie dann auch um sie trauern?
4
Bradley Reynolds hielt Loretta Morgan im Arm, die starr neben ihm lag. Draußen tobte der Wind um die Schutzeinheit und wirbelte riesige Sand- und Staubwolken auf, die das Tageslicht verfinsterten. Reynolds wußte, daß der alljährliche Große Marsstaubsturm von der nordöstlichen Noachis-Region ausging, wo diese an das Becken von Hellas grenzte. Dieser Sturm entwickelte sich zwar langsam, umringte aber schließlich den ganzen Globus des Mars. Gelegentlich reichte er bis in die nördliche Hemisphäre hinauf und bedeckte dann die gesamte Oberfläche des Planeten. Smiths Angaben zufolge war dieser Sturm hier in ähnlicher Weise in Noachis als eine weiße, etwa zweihundert Kilometer lange Wolke entstanden. Jetzt war er viel größer, aber es war noch nicht der Große Sturm. Der würde erst im Frühjahr kommen. Morgan sagte, sie glaube, dieser Sturm sei nur der Mars, der sich nach Flöhen kratze. Wenn man ihren seltsamen Humor einmal beiseite ließ, so hatte der Sturm sie tatsächlich in ihrem Zelt festgenagelt und bewegungsunfähig gemacht, und das jetzt schon seit Wochen. Smith berichtete, daß der Sturm nachzulassen schien. Mit dem Kriechfahrzeug war der Ursprungspunkt des marsianischen Lebens (falls es einen solchen Punkt gab, erinnerte Reynolds sich) noch eine ganze Woche entfernt.
„Ich liebe dich“, sagte er zu Morgan, aber beide wußten, daß das nicht stimmte.
Sie lagen im Dunkeln. Ein Gleichmacher. Nicht nur, daß alle Männer und alle Frauen sich im Dunkeln nicht mehr unterschieden, auch alle Welten schienen gleich zu sein. Abgesehen von diesem heulenden, tobenden Wind, dessen Lautstärke seine tatsächliche Gewalt bei weitem übertraf, hätte dies auch die Erde sein können. Ein Lager, hoch in den Sierras. Ein Liebespaar. Nichts Außergewöhnliches.
„Bradley, laß mich los. Ich muß mal.“
Aber dies war der Mars.
„Na los“, sagte Reynolds und zog seine Arme zurück.
Er hörte nicht, wie sie das Zelt durchquerte. Der Wind übertönte auch das. Das Leben war kostbar hier … und unsicher: Allzu leicht war es vorüber. McIntyre und Kastor … und Morgans kleine, tappende Füße. Ich lebe, erinnerte er sich. Und sie auch. Er meinte die Marsianer. Die andern weigerten sich, eine
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