Der Bernstein-Mensch
etwas über die Lebensbedingungen auf dem Mars zu erfahren, aber jeder von ihnen, ob er es wollte oder nicht, hatte die Todesbedingungen der Erde mitgebracht. Sie wollte nicht sterben. Sie hatte vor dem Ende nicht weniger Angst als andere auch. Aber sie würde gehen. Sie war jetzt bereit. Es konnte heute abend sein oder morgen oder gleich übermorgen. Der exakte Augenblick war unwichtig. Das Leben war vorüber, zu Ende, fertig. Loretta Morgan, wie es sie einmal gegeben hatte, war tot.
Sie saß nackt neben dem jungen Reynolds. Kastors Tod hatte sie endlich von der nächtlichen Bürde ihrer Kleidung befreit. Nicht daß er es jemals würde bemerkt haben: Sex, so hatte er wahrscheinlich geglaubt, war ein Zeichen für weibliche Sentimentalität. Aber sie hätte es bemerkt.
„Nun, was meinen Sie?“ fragte Reynolds, sehr bemüht, sich so zu benehmen, als hätte er schon einmal eine nackte Frau gesehen. Sie nahm es ihm auch ab; trotz seines jungenhaften Lächelns und seiner siebenundzwanzig Jahre war Bradley Reynolds ein Mann, dessen natürliche Impulse zu plötzlich an die Oberfläche drangen, als daß er wahre Naivität hätte kennen können. Reynolds mochte gelegentlich unbeholfen sein, aber er war niemals einfältig.
Sie ließ ihre schweren Brüste ungezwungen herabsinken, als sie sich vorbeugte und die Karte mit einem Finger berührte. „Ich glaube, wir sind verdammt nah. Die Quelle des Lebens müßte hier liegen.“
„Der Garten Eden“, sagte er; er betrachtete die dicht beschriebene nordöstliche Ecke der Karte.
Sie lehnte sich zurück. „Nennen Sie es nicht so. Das war Kastors Drang zur Dramatisierung. Das Leben auf dem Mars ist dramatisch genug. Wir brauchen keine PR-Slogans.“
„Wir vielleicht nicht, aber womöglich die NASA.“ Da war es wieder: schlicht, aber nicht einfältig.
„Dann nennen Sie es wie Sie wollen.“
„Wie wär’s mit Agnew Point?“
„Wofür?“
„Für die Basis. Agnew war einer von Nixons Vizepräsidenten. Er wurde aus dem Amt gejagt, weil er Schmiergelder angenommen hatte.“
„Sie interessieren sich doch nicht auch für den Senat, oder?“
Auf seinen Lippen erschien ein jungenhaftes Lächeln. „Ich bin nicht alt genug“, sagte er. Er hielt das Radio zwischen seinen bekleideten Beinen. Smith würde bald vorüberkommen. „Wie lange, schätzen Sie, werden wir brauchen, um bis zu diesem Ursprungspunkt zu kommen?“
Sie verdrängte für einen Moment das Vorgefühl des herannahenden Todes und dachte nach. „Bei nur einem Fahrzeug und dem Verlust von drei Vierteln unserer Vorräte würde ich sagen: drei Wochen.“
„Auf dem Rückweg werden wir hungrig sein.“
„Wir werden’s überleben“, sagte sie, ein Lächeln niederkämpfend.
„Wahrscheinlich.“ Er zuckte die Achseln. „Aber die einzige Erklärung, die mir für diesen Ursprungspunkt einfällt, ist die, daß das marsianische Leben noch zu jung ist, um sich nicht nur auf diese eine Gegend zu konzentrieren.“
Sie schüttelte den Kopf. „Dafür ist es schon zu weit entwickelt.“
„Nicht unbedingt. Woher wollen wir das wissen? Ohne eine Ozonschicht und in einer Kohlendioxydatmosphäre kann die Mutationsrate geradezu phantastisch sein.“
Ihre Gedanken kamen so klar, daß es sie verblüffte. „Die ersten Sonden fanden Hinweise auf Leben in einer Entfernung bis nach Elysium. Vielleicht ist die vermutete Zentralisierung nur eine Frage von Umweltbedingungen. Auf der Erde gibt es mehr Leben in Florida als auf Grönland. Vielleicht ist Hellas das Florida des Mars.“ Sie studierte den Chronometer an ihrem Handgelenk. „Es ist gleich soweit.“
Er tat überrascht. „Smith schon?“
„Hören Sie“, sagte sie schnell, „Sie werden es ihnen sagen, nicht
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