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Der Bernsteinring: Roman

Der Bernsteinring: Roman

Titel: Der Bernsteinring: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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ihren Verdacht äußerte, Marcel le Breton sei möglicherweise in das Verbrechen verwickelt, das Rosa angelastet wurde. Sie hoffte, erwürde ihr Glauben schenken, denn schließlich hielt er große Stücke auf den Büchsenmeister.
    Das versiegelte Schreiben überbrachte sie dem Verwalter Gerhard und trug ihm auf, es dem Hausherren sofort auszuhändigen, wenn er eintraf. Anschließend machte sie sich auf, um noch einmal im Turm vorzusprechen. Doch hier erfuhr sie zu ihrem größten Entsetzen, die Angeklagte sei auf Grund der Relatio des Syndikus nun dem Hohen Gericht, das dem Erzbischof unterstellt war, übergeben worden und warte in der Hacht auf die peinliche Befragung.

32. Kapitel
 
 Falkomar
    Nach der Vesper widmete sich Anna noch einmal ihrem Stundenbuch. Aufgewühlt und mit tiefer Traurigkeit im Herzen blätterte sie die Seiten durch. Noch fehlten der Terz, der Sext, der Non und der Complet eine Seite. Für die Non aber, die sie der Venus gewidmet hatte, schrieb sie nun: »Hilf mir heraus aus dem Netz, das sie mir gelegt haben«, wie es im 31. Psalm hieß. Und der Silbergriffel skizzierte die finstere Turmkammer, in der eine Gefangene sehnsüchtig nach draußen auf eine weite, freie Landschaft blickte.
    Während Anna zeichnete, wanderten ihre Gedanken. Rosa in der Hacht – das bedeutete, sie war dem Greven unterstellt. Nicht mehr die Turmwachen waren für sie verantwortlich, sondern der Gewaltrichter. Das Verhör würde der Scharfrichter begleiten. Denn sofern Rosa nicht geständig war, stand ihr die Folter bevor. Zwar kannte Anna die genauen Anklagepunkte nicht, aber da der Rat sie dem erzbischöflichen Hochgericht überstellt hatte, lautete zumindest ein wesentlicher Punkt der Relatio auf Zauberei. Wahrscheinlich hatte man auch den Mord an Valeska dahingehend gedeutet. Das aber konnte Rosa nicht gestehen.
    Wäre Hrabanus in der Stadt, hätte er selbst im Rat noch Einfluss nehmen können, wahrscheinlich hatten sogar Freunde von ihm versucht, für Rosa zu sprechen. Aber da war noch eine andere Sache – der Hexenverdacht war ein gefundenes Fressen für all jene, die sichan der Angst ergötzten. Der Priester hatte sich in seiner letzten Predigt dem Thema gewidmet und von den gottlosen Zauberinnen gesprochen, die die Sinne der Menschen verwirrten und sie auf den Pfad zur Hölle verführten. Die Stimmung im Stift war seither ungemütlich, das Gemunkel und Geschwätz der Kanonissen nahm gespenstische Formen an. Eine schwarze Hühnerfeder im Kopfkissen wurde zum bösen Omen, einem stark gewürzten Kuchen wurde unterstellt, Wahnbilder zu bewirken, ein zu leise gemurmeltes Gebet deutete man als Zauberspruch, ein gedankenloses Starren wurde zum bösen Blick. Ein plötzlich auftauchender Pickel mochte ein Hexenmal werden, ein heimlicher Gang in der Nacht aber würde die Teilnahme an einem Hexensabbat bestätigen. Anna war sich dessen bewusst, denn inzwischen wurde sie von den meisten Frauen gemieden oder zumindest mit schiefen Blicken bedacht. Ihre Freundschaft zu Rosa war allen nur zu gut bekannt. Sie ahnte, dass sie, wenn sie auch nur den kleinsten Fehler beging, sich selbst in Gefahr brachte. Schweren Herzens beschloss sie deshalb, an diesem Abend nicht wie versprochen durch die Pforte zu schlüpfen. Es musste eine andere Möglichkeit geben, mit Julius zu sprechen.
    Als die Glocke zur Complet rief, räumte sie ihre Unterlagen zusammen und nahm sie mit in ihre Kammer. Bilder, die astrologisches Wissen bekundeten, würden Schnüfflerinnen gebührend Anlass geben, ihr weitere Probleme zu schaffen. Selbst über Feli, das Kätzchen, hatten sich einige bei der Äbtissin beklagt.
    Sie absolvierte die Gesänge und Lesungen zum Tagesabschluss, blieb aber anschließend noch eine Weile in der Kirche und betete stumm für Valeskas Seele und für Rosa. Dann ging sie in der Dämmerung zurück in ihre Kammer. Doch an Schlaf war nicht zu denken. Noch angekleidetsetzte sie sich auf die Bettkante und starrte durch das offene Fenster in die dunkler werdende Nacht. Immer wieder stand ihr die Hinrichtung vor Augen, die sie zusammen mit der kleinen Magd erlebt hatte. Würde man Rosa zum Tode verurteilen? Vielleicht nicht. Vielleicht gab es Möglichkeiten. Vielleicht kam Hrabanus rechtzeitig zurück, um seinen Einfluss geltend zu machen. Aber die Folter drohte ihr auf jeden Fall.
    Falkomar.
    Anna stand so abrupt von ihrem Bett auf, dass ihr beinahe die noch brennende Nachtkerze umgefallen wäre. Mit fliegenden Fingern durchsuchte sie

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