Der Bernsteinring: Roman
dem sind, was Sie sind. Durchforsten Sie mal ihre kleinen Lebenslügen und so.«
»Sie sind ziemlich erfrischend, Hela.«
Sie lachte. »Was soll ich Ihnen denn sonst sagen? Blumige Sprüche über schwarzhaarige Männer?«
»Ich suche grade nach einem, der mir abhanden gekommen ist.«
»Mh. Venus im Skorpion, ziemlich leidenschaftlich, was? Aber Mond im Steinbock – na ja, aber nach außen hin ganz cool. Haben Sie seine Daten?«
»Das ist es ja – nichts hab ich von ihm.«
»Schwierig. Aber wissen Sie was, eine kleine Prognose kann ich wagen. Sehen Sie, Jupiter wandert gerade in eine nette Position zur Geburtssonne. Und das ist Erfolg fördernd.«
»Ich lasse es auf mich zukommen und werde ein wenig seelischen Frühjahrsputz betreiben. Hier hat man ja Zeit für so etwas.«
»Das sind die Auszeiten, die Saturn uns aufdrängt, ja, ja. Aber – mh, morgen steht der Mond in Konjunktion zu Ihrer Sonne. Übertreiben Sie also nicht, denn das riecht stets ein wenig nach Ärger. Vornehmlich mit Müttern.«
Mein Glaube an den Einfluss der Sterne wurde durch diese Aussage ziemlich gefestigt – der Mittwochnachmittag wurde nämlich dann ungewöhnlich kurzweilig.
Uschi besuchte mich. Julian hatte mir schon als kleines Mädchen erlaubt, ihn beim Vornamen zu nenne, was mich unerhört stolz gemacht hatte. Meine Mutter hatte länger auf dem familiären Titel bestanden, sich aber inzwischen daran gewöhnt, von mir mit Uschi angeredet zu werden. Sie sah gut aus, an diesem Tag. Sie war immer schon schlank gewesen und hatte gleitende, anmutige Bewegungen. Von ihr hatte ich meine schwarzen Haare geerbt, die ihren aber trug sie inzwischen kurz geschnitten und, wie ich den Verdacht hegte, verdeckte mit etwas Färbung die grauen Strähnchen.
»Anita, du wirkst munter!«, begrüßte sie mich und drückte der Stationsschwester einen bunten Blumenstrauß in die Hand, als ob sie eine niedere Bedienstete wäre. Dann legte sie eine Schachtel auf meinen Nachttisch und fragte: »Wie fühlst du dich?«
»Ich habe gerade meine tägliche Krankenhausrunde absolviert. Die Treppen von zehn Stockwerken hoch undwieder runter. Einmal um die Cafeteria und im Galopp durch die Orthopädie zurück. Kurzum, ich versuche, fit zu bleiben.«
»Wann wirst du entlassen?«
»Wenn ich meinen Arzt im richtigen Tonfall an- schnurre, am Freitag.«
»Willst du ein paar Tage bei mir wohnen? Dann brauchst du dich um nichts zu kümmern. Tilly ist ja da.«
Tilly, eigentlich Mathilde, war Uschis Hausdame, die vor einem Monat in die Einliegerwohnung eingezogen war. Uschi, die unter heftigen Depressionen nach Julians Tod litt und beinahe einen selbstmörderischen Unfall verursacht hätte, hatte auf den Rat ihres Therapeuten gehört und sie engagiert. So hatte sie, neben der Unterstützung im Haushalt, auch einen Ansprechpartner, wenn es sie wieder besonders stark traf. Im Übrigen war Tilly eine exzellente Köchin. Aber trotzdem schlug ich die Einladung mit sanften Worten aus. Das enge Zusammenleben mit Uschi führte unweigerlich zu Problemen, wie ich nur zu genau wusste.
»Na gut, dann sieh zu, wie du alleine fertig wirst!«
»Ich bin ja nicht verkrüppelt, Uschi. Und mit einem linken Arm, der nicht ganz einsatzfähig ist, lebe ich nun schon über ein halbes Jahr. Jetzt besteht wenigstens die Hoffnung, dass es mit jedem Tag besser wird. Was ist in der Schachtel da?«
»Mach sie auf! Tilly und ich haben ein wenig experimentiert. Aber ich sage dir, die Frau kann zwar einigermaßen kochen, aber von Süßigkeiten versteht sie nichts!«
Ich probierte eine der in schwarze Schokolade gehüllten Pralinen und musste zugeben, dass sie überragend schmeckten.
»Köstlich! Die muss ich Rose zum Probieren geben. Die ist ein Naschkätzchen.«
»Bevor du sie diesem Mädchen gibst, nehme ich sie lieber wieder mit!«, fauchte Uschi mich mit unerwarteter Schärfe an.
»Was bist du nur ungerecht. Du kennst Rose nicht, und sie hat dir nichts getan!«
»Sie hat mir Julians Liebe gestohlen!«
In dieser Angelegenheit dachte und reagierte meine Mutter leider völlig irrational. Ich versuchte, sie auf ein anderes Thema zu lenken und fragte sie nach ihren Urlaubsplänen. Es gelang, und sie berichtete von einem Hotel auf Madeira, das sie für Ostern gebucht hatte. Ich kannte es und erzählte ihr ein wenig darüber. Die Vorfreude auf die Reise machte Uschi heiterer, und sie wirkte wieder wie die schöne, fröhliche Frau, die ich aus meiner Kinderzeit kannte.
Doch dann verwandelte
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