Der Bernsteinring: Roman
sie sich bedauerlicherweise erneut in die verbitterte Furie, die in der jüngeren Vergangenheit so oft aus ihr hervorbrach. Denn in mein Zimmer trat Sophia van Cleve, Roses Mutter. Sophia kannte Uschi von Pressefotos, Uschi kannte Sophia nicht vom Ansehen her. Wäre unser Gespräch nicht gerade so locker gewesen, hätte ich Sophia vermutlich gar nicht vorgestellt, sondern ihr einen Wink gegeben, später wiederzukommen. Doch so war ich gedankenlos und machte die beiden Frauen miteinander bekannt.
»Sie!«, zischte Uschi und stand auf. Es hätte wenig gefehlt, und sie hätte die Finger zu Krallen geformt. Dann drehte sie sich zu mir um, und die geballte Ladung ihres Hasses ergoss sich über mich.
»Wie kannst du es wagen, mich mit dieser Kreatur zusammenzubringen! Du infame, instinktlose Schlange! Nicht nur mit dem Bastard dieser Schlampe mimst du dicke Freundschaft, sogar mit ihr gibst du dich ab!«
»Uschi, mäßige dich. Bitte. Sophia hat genauso dasRecht, mich zu besuchen, wie alle meine anderen Bekannten.«
»Ich verbiete dir den Umgang mit dieser Verräterin!«
»Nimm die Dramatik aus deiner Stimme, Uschi! Das
Vergehen liegt dreißig Jahre zurück und ist verjährt!« »Dieser Betrug verjährt nie!«
Ich seufzte. Meine Mutter war dabei, sich in eine hysterische Szene zu steigern, und Sophia, die das zuerst verblüfft, dann verstehend beobachtete, machte das einzig Richtige. Sie winkte mir verstohlen zu und verließ leise und schweigend den Raum.
So ihres Zieles beraubt, wurde ich das Opfer von Gift und Galle, die ich geduldig über mich ergehen ließ, bis Uschi der Atem ausging. Es dauerte beinahe eine Viertelstunde und wurde erst milder, als Carl vorbeischaute und sie darauf aufmerksam machte, dass die Patientin auf keinen Fall aufgeregt werden dürfe. Er komplimentierte sie geschickt aus dem Raum, und wenig später kam Sophia wieder.
»Du Ärmste!«
»Schon gut. Sie ist halt manchmal so.«
»Zu viel Leidenschaft.«
»Und manchmal zu wenig Hirn, ja.«
»Willst du dich bei mir ausweinen?«
»Nein, ist schon gut, Sophia. Dein Dr. Carl ist eine echte Empfehlung. Hast du ihn gerade alarmiert?«
»Ja, war eine gute Idee, nicht wahr?«
Ich konnte schon wieder lächeln. Sophia war ausgeglichen, pragmatisch und verständnisvoll. Sie begann ein entspanntes Geplauder über ihre jüngste Tochter.
»Cilly träumt derzeit davon, mittelalterliche Geschichte zu studieren. Ich bin dir beinahe dankbar dafür, denn ihre bisherigen Berufswünsche waren bei weitem nicht so seriös.«
»Ihre Karriere als Astronautin, Zoowärterin oder Tierschützerin?«
»Nimm noch Rennfahrerin, Berufssoldatin und Schaufensterdekorateurin dazu, dann hast du einen gewissen Überblick.«
»Ist doch schön, als Mädchen ein solch vielfältiges Spektrum vor sich zu haben. Das wird sie bei ihrer Beschäftigung mit dem Mittelalter ganz schnell einsehen.«
Sophia lachte. Sie nahm Cillys Zukunftsplanung so ernst, wie es möglich war, ohne sie zu entmutigen.
»Dieses Stundenbuch hält sie in Bann. Sie hat sich schon Unterlagen aus der Bücherei ausgeliehen und schwärmt mir jetzt ständig etwas von Bordüren und Initialen vor. Außerdem liest sie mit Feuereifer die Bibel, was ihr den gewaltigen Spott ihrer Klassenkameraden einbringt. Immerhin haut sie ihnen dafür einige recht derbe alttestamentarische Sprüche um die Ohren, die mich manchmal an der Heiligkeit dieses Buches zweifeln lassen.«
»Oh, es gibt einige ziemlich unheilige Geschichten in dem Werk, lass dich nicht täuschen von dem ach so christlichen Gebrauch mancher Textstellen.«
»Apropos Geschichte. Was ist, Anita, wird das, was sich um dieses Stundenbuch rankt, eine ebenso spannende Geschichte, wie die von den Römern?«
»Ich habe ein wenig nachgedacht. Ja, Sophia, dahinter verbirgt sich etwas. Ich bin ziemlich nahe dran, und mit ein bisschen Geduld und Roses Hilfe werde ich aus meinem Gedächtnis auch den Schlüssel dazu finden.«
»Julian war ein liebenswürdiger Spinner. Ein Poet, wenn man ihn ließ. Zu einer anderen Zeit hätte er nicht nur populäre Schlager gesungen, sondern die Welt mit seinen Moritaten und Balladen beglückt.«
»Er hat in den letzten Jahren sehr viel poetische Lieder geschrieben und komponiert. Aber das Publikum hat eine feste Meinung von ihm, und so sind diese Sachen nur in einem sehr kleinen Kreis bekannt geworden. Aber ich denke, er wollte auch kein großes Aufsehen damit erregen.«
»Ich war einst bis zur Besinnungslosigkeit in ihn
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