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Der Bernsteinring: Roman

Der Bernsteinring: Roman

Titel: Der Bernsteinring: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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zweifelt mehr an deiner guten Abstammung, Stiftsjungfer.«
    »Daran vermutlich nicht, Herr. Aber Ihr wisst es, nicht wahr? Und auch, dass ich keine Jungfer mehr bin.«
    Er stand jetzt hinter ihr und sah ebenfalls zum Fenster hinaus auf den Hof.
    »Ja, ich habe mir gedacht, dass du deine Unschuld verloren hast. Noch bevor ich dich kennen lernte, nicht wahr?«
    »Kurz zuvor. Ja.«
    »Horsel sorgte dafür?«
    Anna nickte. »Seht, und schon darum kann ich Euren werten Carolus nicht heiraten. Noch einen anderen Mann. Es wäre nicht recht.«
    Die Glocken der Kirche riefen zur Vesper. Sie lauschten beide schweigend, und als sie verklungen waren, meinte Hrabanus: »Anna, auch dafür kann man eine Lösung finden.«
    Anna atmete tief ein und setzte sich aufrecht hin.
    »Danke, Herr. Ich achte Eure Fürsorge. Aber ich will lieber hier im Stift leben, hier fühle ich mich sicherer und geborgener als in der Welt.«
    »Wie du wünschst, Anna.«
    »Ja, ich wünsche es.«
    Er nahm seine Wanderung durch den Raum wieder auf, sprach aber nicht weiter.
    Sie blieb still stehen und drückte sich die Hände auf den Magen. Schließlich fragte sie: »Da ist noch etwas, das Ihr mir sagen wollt. Und es... es fällt Euch schwer?«
    Er hielt inne und sah sie an. Es war ihr, als läge Bedauern in seinem Blick.
    »Ja, Kind, da ist noch etwas, das ich dir mitteilen wollte.«
    »Ihr werdet wieder heiraten, nicht wahr? Ihr habt keine Kinder von Eurer ersten Gemahlin.«
    »Ja, ich brauche einen Erben.«
    »Darf ich Euch Glück wünschen?«
    »Anna, ob ich Glück finde, wird sich zeigen. Aber es scheint mir eine passende Lösung. Doch für dich mag es ein Verlust sein.«
    »Wen, Herr, wollt Ihr ehelichen?«
    »Ich habe bereits mit der Äbtissin darüber gesprochen. Ich brauche keine junge Frau mit einer großen Mitgift, sondern nur ein achtbares Mädchen. Sie schlug mir vor, um die junge Rosa von Gudenau zu freien.« Er lachte leise auf: »Wenn mich nicht alles täuscht, ist die ehrenwerte Ida-Sophia nicht ganz abgeneigt, sie fortgehen zu sehen. Rosa fühlt sich nicht wohl im Stift, scheint es, und ein Leben in der Welt würde ihr mehr behagen.«
    Anna drückte ihre Hände fester auf den Magen, brachte aber dann gelassen ihre Antwort vor: »Ja, Rosa ist unglücklich hier, und ich befürchte, sie wird irgendwann ausreißen.«
    »Du hast sie mir bisher immer als klug und gutherzig geschildert, sie kann lesen und schreiben...«
    »Und sie ist – mindestens genauso schön wie ich.«
    Annas Versuch, der Nachricht eine heitere Wendung zu geben, endete mit einem kläglichen Lächeln.
    »Anna, es ist das Beste so, glaube mir. Du wirst immer ein gern gesehener Gast im Hause ›Zum Raben‹ sein.«
    »Ja, Herr. Aber bitte, lasst mich jetzt alleine. Ich möchte noch an etwas arbeiten.«
    Er stand auf, legte ihr die Hand auf die Schulter und verließ leise das Skriptorium.
    Anna zog ihr Stundenbuch hervor und betrachtete die Seiten der vierten Hore, der Sext. Auf der Frontseite prunkte bereits ein leuchtender Sommertag vor dem breiten Fluss. Handelsschiffe schwankten voll beladen im Hafen, geschäftiges Treiben herrschte vor den Toren, eine gleißende Sonne stand im Zenit und ergoss ihr goldenes Licht verschwenderisch über die Szene. Darunter hatte sie die Worte aus dem 19. Psalm geschrieben: »Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes, vom Werk seiner Hände kündet das Firmament.« Umgeben war die Miniatur von Eichenlaub und Purpurwinden. Die folgende Seite hatte ebenfalls ihren ornamentalen Rahmen, aber weder Bild noch Spruch. Ihn schrieb Anna nun und zwang sich, ihre Finger dabei ruhig zu halten. »Herr, du bist mein Gott, dich suche ich. Meine Seele dürstet nach dir, mein Leib schmachtet nach dir wie dürres, lechzendes Land ohne Wasser.« Es waren Worte aus dem 63. Psalm, doch sie wirkten sehr wunderlich zu der Vorzeichnung, die sie mit dem Silbergriffel entwarf. Es war eine gar gewagte Szene, die stark an die Darstellungen von der badenden Batseba erinnerte.
    Als das Licht zu schwach zum Zeichnen wurde, räumte Anna sorgfältig ihr Handwerkszeug zusammen und ging ins Kanonissenhaus zurück. Dort klopfte sie an Rosas Kammertür.
    »Da bist du ja! Du hast das Essen versäumt, Anna!« »Ich hatte keinen Hunger!«
    Rosa hatte bereits das Gewand abgelegt und saß im Hemd vor dem Kohlebecken, um sich die Haare zu Zöpfen zu flechten. Ein mutwilliges Funkeln lag in ihren Augen, als sie fragte: »Hast wohl andere Nahrung bekommen. Luft und Liebe können auch

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