Der Bernsteinring: Roman
konnte Anna sehen, wie ihre Augen blitzten, als die Musik lauter wurde. Sie stand auf, um zu ihr zu gehen. Was in Rosas Kopf vorging, konnte sie sich nur zu gut vorstellen.
»Sind sie nicht wunderbar?«, fragte sie, als Anna neben ihr stand. »Eine wunderbare Musik! Genau die richtige Musik, um zu tanzen!«
»Rosa, du bist jetzt die Ratsherrin.«
»Eine Frau von Einfluss und Macht, jaja. Ich darf tanzen. Tanzt du mit?«
»Rosa, lass es besser.«
Aber schon hatte Rosa übermütig ihre Freundin um die Taille gefasst und drehte sich mit ihr in wilden Sprüngen im Kreis.
»Rosa, hör auf!«
Anna machte sich mit Gewalt los, und Rosa taumelte.
»Anna, die Nase. Für keinen Pfennig Mut im Leib! Hier, Spielmann, kennt Ihr das Lied vom tanzenden Tod?«
Der Spielmann lachte.
»Natürlich, edle Dame. Soll ich spielen oder soll ich singen?«
»Spielt, ich singe die Strophe vom Kaufmann!«
Und ehe Anna oder sonst jemand eingreifen konnte, sang Rosa – falsch, aber erschreckend laut:
»Herr Kaufmann, lasst Euer Werben, Die Zeit ist hie, ihr müsst jetzt sterben, Der Tod nimmt weder Geld noch Gut, Nun tanzet her mit frischem Mut!«
Und der Spielmann antwortete ihr:
»Hab mich zum Leben versorget wohl, Kist und Kästen immer voll.
Der Tod hat meine Hab verschmacht, Hat mich um Leib und Leben bracht!«
Rosa lachte kreischend auf und leerte einen weiteren Weinpokal.
»Ich sing Euch die Strophe vom Abt, Spielmann!«
»Ihr singt nichts mehr, Weib!«, donnerte Hrabanus, der neben ihr aufgetaucht war und packte sie hart am Arm.
»Au, Ihr tut mir weh!«
»Benehmt Euch, Rosa!«
»Spielt, Spielmann! Spielt einen Tanz für die Braut und den Bräutigam! Trommler, stimmt an!«
Die Spielleute hatten ihren Spaß an dem übermütigen Verhalten der Braut und ließen sich das nicht zweimal sagen. Rosa entwischte Hrabanus’ Griff und tanzte einen wilden Tanz. Ihre Röcke flogen, der Schleier löste sich von ihrem Haar und schwebte zu Boden, ihre Haare peitschten wild um sie herum, und ihr Gesicht glühte.
Die Gäste sahen teils amüsiert, teils peinlich berührt zu. Anna war es schließlich, die dem ungestümen Tanz ein Ende setzte. Sie goss beherzt ihrer Freundin eine Kanne Wasser über den Kopf.
»Anna, komm mit.«
Der Ratsherr hatte die verdutzte Rosa diesmal fester im Griff und führte sie grimmig schweigend aus der Festhalle.
»Lasst mich los, Hrabanus. Lasst mich feiern!« »Halt den Mund. Hoch mit dir.«
Er schob Rosa die Treppe hinauf und auf eine Kammertür zu.
»Da hinein. Es ist unser Ehegemach. Und du bleibst so lange hier, bis du dich wieder gesittet benimmst. Anna, du bleibst bei ihr. Schließ hinter ihr ab. Du gibst mir Gewähr, dass sie nicht eher nach unten kommt, als bis sie zu Verstand gekommen ist.«
»Aber Herr!«
»Tu, was man dir befiehlt!«
»Ihr habt mir nichts zu befehlen, Herr!«
»So, habe ich nicht?«
»Eure Wohltätigkeit verlangt, scheint’s, einen hohen Preis, Herr Kaufmann!«
»Willst du zukünftig darauf verzichten?«
»Ich brauche sie nicht mehr, Herr. Ich bin Schreibmeisterin in meinem Stift, man braucht mich. Wohnung und Brot werde ich dort immer haben. Was könntet Ihr mir noch darüber hinaus geben?«
»Kleider, Schmuck, silberne Haarnetze bedeuten dir nichts?«
»Ich habe meine Kanonissentracht. Sie reicht, um meine Blöße zu decken. Euren Tand benötige ich nicht!« »Brot, Kleid und Obdach für deine Magd?
»Ich werde meines mit ihr teilen!«
»Und die Bücher?«
Anna schwieg.
»Jeder hat seinen Preis, was?«
»Lasst sie in Ruhe, Hrabanus, mein Gatte!«, sagte Rosa mit müder Stimme. »Scheltet mich aus, nicht sie.« Siesaß zusammengesunken auf der Bettkante des prunkvollen Himmelbettes und versuchte, ihre feuchten Haarsträhnen zu entwirren.
Hrabanus sah von der einen zur anderen.
Rosa zuckte mit den Schultern und meinte: »Herr, Ihr habt keine vornehme Adlige geehelicht.«
»In der Tat, das sieht mir ganz so aus.«
»Aber Ihr habt mich ja auch nicht gefragt.«
»Einen schlechten Handel bin ich da wohl eingegangen.«
Anna stellte sich vor ihn.
»Genau so schlecht, wie den, den Ihr mit mir eingegangen seid, Herr.«
»Bei dir wusste ich zumindest, woher du stammst!«
»Hättet Ihr Euch je die Mühe gemacht, Herr, mehr als nur Rosas hübsches Gesicht zu betrachten, dann hättet Ihr auch mehr über sie erfahren.«
»Willst du widersätzige Göre mir unterstellen, ich hätte Rosa wegen ihres Lärvchens geheiratet?«
»Ihr habt sie geheiratet, um keine
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