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Der Bernsteinring: Roman

Der Bernsteinring: Roman

Titel: Der Bernsteinring: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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gemeinschaftlich in nüchternes Grau gekleidet, und eine jüngere, schöne, aber überaus scheue Frau, die Anna als Hrabanus’ verwaiste Nichte vorgestellt wurde. Ein junger, untersetzter Mann mit offenem Gesicht, semmelblonden Haaren und etwas abstehenden Ohren saß am Tisch dann neben ihr. Nicht zufällig, wie sie vermutete, als sie seinen Namen erfuhr – Carolus. Der junge Geschäftspartner des Gewürzhändlers war ihr nicht unsympathisch. Im Gegenteil, sie fand, man konntesich recht gut mit ihm unterhalten. Er besaß zwar nicht einen so gebildeten Geist wie der Ratsherr, aber konnte unterhaltsam über allerlei Themen sprechen. Trotz seiner Jugend war er schon weit gereist und schien sich seine eigenen Gedanken über die Menschen zu machen, die er in anderen Ländern getroffen hatte. Er erzählte ihr von seltsamen Gebräuchen und Sitten, doch sie hatte den Eindruck, er strebte danach, sie zu verstehen und nicht zu verdammen, wie es manch einer tat, der sich unsicher in der Fremde fühlte. Unsicher erschien Anna Carolus gewiss nicht, eher als ein gefestigter, zielstrebiger Mann, und das Einzige, was sie ihm eventuell hätte vorwerfen können, war sein etwas schwerfälliger Sinn für Humor.
    Das Mahl war dem Fest angemessen. Die Tische bogen sich unter den Speisen, das Tischgeschirr war aus gediegenem Silber, ein Tafelaufsatz in Form einer Hansekogge versetzte Anna in atemloses Staunen. Die geblähten Segel waren aus durchsichtigem Bergkristall gefertigt, und es schien ihr, als ob dieses Schiff vom Winde getrieben durch die Lüfte reiste. Wein wurde in silbernen oder gläsernen Pokalen gereicht, aber die erstaunlichste Sache war das eigenartige Essgerät, das ein jeder an seinem Platz vorfand. Carolus erklärte es ihr.
    »Eine Gabel, Frau Anna. Sehr praktisch. Seht, man kann klebrige oder tropfende Bissen damit zum Mund führen, ohne sich die Finger zu beschmutzen.«
    Ein wenig ungeschickt hantierte sie zunächst damit, sah aber den Nutzen dieses Bestecks schnell ein. Der fetttriefende Gänsebraten, die in Buttersauce schwimmenden Fische, das knusprige Spanferkel waren damit einfacher zu essen. Die Gerichte waren selbstverständlich, wie es sich im Hause eines Gewürzhändlers gehörte, verschwenderisch gewürzt. Manche der exotischenGeschmacksrichtungen waren Anna unbekannt, aber Carolus erklärte ihr, was sie jeweils aß. Safran und Muskat, Piment und Kurkuma, Anis und Zimt wurden reichlich verwendet. Einmal schob Anna ein Gericht schon nach einem Bissen zur Seite, denn der allzu beißende Geschmack des Chilipfeffers brannte ihr in der Kehle, und Tränen stürzten ihr aus den Augen. Der leichte, weiße Wein hingegen half ihr, die Fassung wiederzugewinnen.
    Rosa schien sich mit ihrem Schicksal ausgesöhnt zu haben. Sie war in der Kirche eine ruhige, würdevolle Braut gewesen, hatte mit aufrechter Haltung und freundlichem Lächeln die Glückwünsche an der Seite ihres Gatten entgegengenommen und in ihrem smaragdgrünen Kleid mit rosenfarbenem Untergewand ein vollendetes Bild geboten, zumal sie ihre langen blonden Haare nur von einem dünnen, golddurchwebten Schleier bedeckt hatte. Jetzt saß sie an Hrabanus’ Seite und handhabte ebenfalls zierlich die Gabel. Doch ihre Wangen begannen sich zu röten, und dann und wann wanderten ihre Augen zum offenen Fenster hin, durch das die goldene Herbstsonne fiel. Sie bemerkte Annas Blick, hob ihren Pokal und leerte ihn mit einem Zug. Man füllte ihn ihr sofort wieder nach.
    Hrabanus hingegen unterhielt sich intensiv mit seinem Tischnachbarn, der Kleidung nach einer der Universitätsprofessoren.
    Schließlich war das Mahl beendet, und die Tische wurden abgetragen. Dafür kamen die Spielleute. Auch hier hatte der Ratsherr für beste Unterhaltung gesorgt. Rebek und Laute, Flöte und Trommeln, Leier und Zither erklangen. Fröhliche Weisen waren es, und Anna, die Musik liebte, erfreute sich an ihnen, auch wenn die beiden Kanonissen und die Priorin verächtlicheGesichter zogen. Chorgesang war ihnen vertraut, diese aufmunternden Melodien hingegen schienen ihnen nicht geheuer. Die Äbtissin aber, bemerkte Anne, klopfte fröhlich mit dem Knöchel den Takt zu den Liedern. Es kamen auch Akrobaten in bunten Kleidern, die ihre Kunststücke vorführten, Räder schlugen, mit bunten Stöcken und Kugeln jonglierten und allerlei Narreteien vollführten.
    Die Stimmung war gelöst, die Gäste gesättigt und manche vom Wein aufgekratzt. Am meisten jedoch war es die Braut. Von ihrem Platz aus

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