Der Bernsteinring: Roman
dieses Wissen der Stadt Köln zur Verfügung stellen wollte.
»Ich habe bereits mit den Ratsmitgliedern korrespondiert, und wir werden in den nächsten Tagen bei einigen von ihnen vorstellig werden.«
Rosa bedachte den Gast mit einem hinreißenden Lächeln.
»Es wird mir, jetzt, da ich Euer schönes Weib kennen gelernt ’abe, eine besondere Ehre sein, dieser Stadt zu dienen!«, sagte Marcel le Breton und erwiderte Rosas Lächeln.
Anna war bald gegangen, und ihre Dankgebete fielen an diesem Abend sehr innig aus.
Fünf Tage später saß sie über ihrem Stundenbuch und betrachtete die Seiten, die Rosa mit Ranken von knospenden Heckenrosen eingefasst hatte. Das erste Blatt wurde beherrscht von einer Burg, die ihren langen Schatten in der Nachmittagssonne warf. Non, die neunte Stunde das Tages, stellte es dar. »Du bist es, der den Himmel ausspannt wie ein Zeltdach«, hatte sie aus dem Psalm 104 darunter geschrieben. Dann folgte eine Hochzeitsszene, Spielleute in bunten Kleidern, fröhlicher Tanz, reich gedeckte Tische, das Paar nebeneinander sitzend, doch einander seltsam fremd. Sie, eine junge blonde Frau in smaragdgrünem Kleid, starrte sehnsuchtsvoll nach links aus dem Fenster, er, ein gesetzter, dunkler Mann in gravitätischer, pelzverbrämter Robe, unterhielt sich mit einem grau gewandeten Gelehrten rechts von ihm.
Die Rosen, die das Bild umrahmten, standen in voller Blüte.
»Er heilt, die zerbrochenen Herzens sind, verbindet all ihre Wunden« stand darunter, ein Vers aus dem Psalm 147. Doch die Buchstaben, sonst so akkurat und kunstfertig geschrieben, schienen hier ein wenig zittrig.
Auf der dritten Seite fehlte noch das Bild und der Spruch, doch die vierte Seite war fast fertig. Mit einem feinen Pinsel vollendete Anna das Gesicht der Planetenherrscherin, denn für sie regierte die schöne, liebreiche Venus die neunte Stunde. Und sie trug das Gesicht der Frau Rosa Valens.
»Frau Anna!«
»Was gibt es, Valeska?«
»Eine Nachricht von Frau Rosa. Eine Magd hat das für Euch abgegeben.«
Valeska überreichte Anna ein zusammengefaltetes und gesiegeltes Stück Papier. Das war ungewöhnlich, denn Rosa ließ gewöhnlich ihre Nachrichten mündlich überbringen.
»Anna, Hrabanus ist auf den Tod krank. Er verlangt nach dir. Komm.«
Mehr stand auf dem Zettel nicht, und Anna fühlte, wie ihre Hände kalt wurden.
»Frau Anna? Schlimme Nachrichten?«
»Ja, Valeska. Ich... Hilf mir, die Tracht anzulegen, schnell. Ich muss mit der Äbtissin sprechen.«
Ida-Sophia war einverstanden, dass Anna noch zur gleichen Stunde das Haus ›Zum Raben‹ aufsuchte, um ihren erkrankten Wohltäter zu besuchen.
Rosa empfing sie und nahm sie mit in ihre Schreibkammer.
»Das Weibervolk macht mich wahnsinnig. Immer huschensie hinter mir her, begackern jeden Handgriff und müssen in alles ihre langen Nasen stecken.«
»Was ist mit Hrabanus?«
»Er hat hohes Fieber. Es hat ganz plötzlich eingesetzt.«
»Hast du einen Arzt geholt?«
»Natürlich. Er hat ihn zur Ader gelassen und etwas von Wundfieber gemurmelt. Aber das glaube ich nicht. Das Fieber verschwand genauso schnell wie es kam. Vor drei Tagen. Und nun hat es heute wieder begonnen.«
»Und die Wunde?«
»Er hat diese Wunde am Oberschenkel, ja, aber er lässt sie mich nicht sehen.«
Anna wusste, Rosa hatte einige Erfahrung mit Krankheiten und Verletzungen. Die Tochter eines Theriakhändlers kam nicht umhin, sich derartiges Wissen anzueignen. Sie selbst allerdings hatte zwar einige Schriften der großen Ärzte gelesen, aber nur wenig praktische Erfahrung gesammelt.
»Kann ich mit ihm sprechen, oder geht es ihm zu schlecht?«
»Du kannst es versuchen. Ich weiß aber nicht, ob er dich erkennt.«
Anna folgte ihr in das Schlafgemach mit dem prunkvollen Pfostenbett. Eine der Basen saß bei ihm, beschäftigt mit ihrer unvermeidlichen Stickarbeit. Gestützt von hohen Polstern saß Hrabanus mehr als er lag, doch seine Augen waren geschlossen, seine schwarzen, von Grau durchzogenen Haare wirr und verklebt und sein narbiges Gesicht blass.
»Base, verlasst uns bitte!«
Mürrisch, aber gehorsam packte die ältere Frau ihre Handarbeit zusammen und ging.
»Hrabanus, Herr, hört Ihr mich? Anna ist aus dem Stift gekommen, um Euch zu besuchen.«
Seine Lider hoben sich kurz, aber sein Blick war unstet. Er erkannte weder Rosa noch Anna.
»Wie lange hält das Fieber schon an?«
»Es begann heute um die Mittagsstunde.«
»War der Arzt noch einmal hier?«
»Nein. Er tut doch nichts
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