Der Bernsteinring: Roman
mehr allzu oft. Und ich kann ganz gut ohne ein quakendes Balg leben.«
Anna hatte an jenem Tag bei weitem mehr Mitleid mit dem Ratsherren als mit ihrer Freundin. Dann ging Hrabanus Valens wieder auf Reisen, und Rosa lebte sichtlich auf. Über ein Jahr war der Gewürzhändler unterwegs, um seine weit verzweigten Geschäfte zu führen. Doch als monatelang keine Nachrichten von ihm eintrafen, wurde selbst Rosa unruhig.
»Es heißt, es tobe da ein Krieg um die Stadt Neapel. Kaiser Maximilian ist gegen die Franzosen gezogen. Und Hrabanus ist noch immer in Italien!«
»Aber doch sicher nicht in Neapel. So unklug handelt er nicht.«
»Wer weiß, was sich dort abspielt. Du, ich will nicht schon wieder Witwe werden, Anna! Wer weiß, wohin seine Familie mich abschiebt.«
Und dann kam eines Tages die Botschaft, der Ratsherr sei auf dem Heimweg, dass er jedoch länger brauche alserwartet, denn ihn hatte ein Überfall von Straßenräubern beinahe das Leben gekostet.
Endlich kam der Moment, an dem lautes Rufen, Räderrumpeln und Hufgeklapper im Hof ankündigten, dass die Wagen und Reittiere der Reisegesellschaft nach Köln zurückgekehrt waren. Anna hielt sich bei Rosa auf, als Hrabanus Valens das Haus betrat. Erschrocken stellte sie fest, dass er gealtert und abgemagert wirkte und sich schwer auf einen Stock stützen musste. Ihn begleitete ein jüngerer Mann, den er als Marcel le Breton vorstellte. Der ehemalige Söldner war groß und breitschultrig, trug sein Gesicht bis auf einen Schnauzbart glatt rasiert, und seine blonden Locken waren glänzend gebürstet... Er bevorzugte die gängige Landsknechtstracht mit ihren Fetzen und bunten Hosen, doch waren es keine durch Verschleiß und Waffengewalt zerfetzten Kleidungsstücke, aus denen das Futter und die Unterkleidung hervorsah, sondern ein sorgfältig geschneidertes Wams und Beinkleider. Allerdings wirkte er auf Anna keinen Augenblick lang geckenhaft oder eitel, sondern männlich und stark. Er sprach recht gut die deutsche Sprache, aber man hörte ihm an, dass er aus einem anderen Land stammte.
Rosa begrüßte den Ratsherren mit echter Herzlichkeit.
»Kommt, mein Gemahl, und setzt Euch nieder. Ich will Euch einen Becher roten Wein holen, Ihr habt eine schwere Reise hinter Euch.«
»Ja, das habe ich wohl, Rosa. Anna, mein Kind, schön dich zu sehen. Trink mit mir auf meine Heimkehr.«
»Gerne, Herr. Ebenso soll Euer Begleiter seinen Begrüßungsschluck haben.«
»Natürlich. Setzt Euch, Marcel!«
Rosa brachte eine Karaffe mit und schenkte ein.
»Könnt Ihr uns berichten, was geschehen ist, mein Gemahl? Wie haben nur wenige und beängstigende Nachrichten erhalten.«
»Ja, bitte erzählt uns, wenn es Euch nicht zu sehr anstrengt.«
»Zwei neugierige Katzen finde ich in meinem Haus vor.«
Auch die restlichen Familienmitglieder hatten sich eingefunden und umflatterten den Hausherren wie eine Schar grauer Gänse.
»Setzt Euch endlich hin, ihr Weibsleut, und gebt Ruhe! Den Wegelagerern bin ich entkommen, jetzt finde ich hier durch lauter Geschnatter mein Ende!«
Das Geflatter legte sich, und Hrabanus erzählte, was ihm widerfahren war. Wegelagerer hatten ihn und seine Gesellschaft auf dem Weg von Venedig nach Verona überfallen, doch sie waren von einer kleinen Gruppe von Söldnern gerettet worden. Diese Männer hatten im Dienst des Kaisers Maximilian gestanden, der sie für den Krieg gegen die Franzosen um die Stadt Neapel gedungen hatte. Da der Feldzug jedoch auf Grund fehlender Mittel, mangelnder Unterstützung aus dem Reich und widriger Witterungsbedingungen abgebrochen werden musste, hatten sich die Landsknechtsverbände aufgelöst. Kleine Fähnlein wanderten auf der Suche nach neuen Betätigungsfeldern durch das Land. Jene, die Hrabanus Valens gerettet hatten, wurden von einem Mann namens Marcel le Breton angeführt, einem Söldner aus dem Norden. Er hatte, nachdem die Strauchdiebe in die Flucht gejagt worden waren, dem verletzten Hrabanus geholfen, einen Bader zu finden, der sich seiner Verletzungen, vor allem aber der bösen Messerwunde an seinem Bein annahm.
Sie hatten sich lange unterhalten und schließlich angefreundet.So hatte Hrabanus erfahren, dass Marcel le Breton seit seinem achtzehnten Lebensjahr als Landsknecht in den Heeren Maximilians diente und nun, in seinem dreißigsten Lebensjahr, beschlossen hatte, diese Art des Herumziehens zu beenden. Er war ein kluger Mann, der sich große Kenntnisse über die neuen Feuerwaffen angeeignet hatte und nun
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