Der Bernsteinring: Roman
dienenden Bettelorden anzuschließen.«
»Du könntest dich um Rosa kümmern, vielleicht gelingt es dir, ihre Schwermut zu heilen.«
»Ich will sie in der nächsten Woche aufsuchen, und sehen, ob ich sie aufheitern kann.«
»Bitte tu das, Anna. Nimm dich ihrer an, denn ich werde wieder auf Reisen gehen müssen.«
»Wohin diesmal, Herr?«
»Nicht sehr weit, nur nach Burgund. Im Herbst bin ich wieder zurück.«
»Wie wünsche ich mir, Euch begleiten zu können. Ach, erzählt mir von den fernen Ländern, Herr!«
»Du bist unersättlich, Anna!«
Aber er erfüllte ihr den Wunsch und berichtete von seiner Reise nach Spanien, über die erstaunlichen Berichte, die er dort über die weiten Fahrten des Cristoforo Columbo gehört hatte, der den Seeweg nach Indien finden wollte. Er hatte die Heiden gesehen, die er mitgebracht hatte, Indianer mit dunkler Haut und seltsamem Gebaren. Fremdartige Pflanzen hatte er ebenfalls mitgebracht, deren Verwendung noch unbekannt war. Hrabanus hatte die neu gezeichneten Karten gesehen, die die Welt ganz abbildeten. Aber es war das Gold, das sie gefunden hatten in jener neuen Welt, das vor allem Anlass dazu gab, eine weitere Expedition zu starten. Und nun waren wieder Schiffe aufgebrochen, um das Land weiter zu erkunden, mehr Gold zu scheffeln und den Heiden das Christentum zu bringen.
»Wie groß die Erde ist. Und wie viel Wunder sie birgt.«
»Sie ist groß, aber nicht unendlich, Anna.«
»Ich weiß. Sie ist eine Kugel, sagt man, und eine Kugel ist nicht unendlich. Aber es ist schwer, sich vorzustellen, über Kopf zu leben und den Himmel unter sich zu sehen.«
»Das werden sich die Menschen auf der anderen Seite der Erde genauso von uns denken.«
»Ihr verspottet mich!«
»O nein. Aber streng deine Vorstellungsgabe an, Anna. Diese Kugel Erde ist so gewaltig groß, dass sie uns kleinen Menschen überall flach wie ein Teller erscheint. Columbo hat nichts davon berichtet, dass der Himmel in jenem Land unten und die Erde oben sei.«
Anna bedachte das und erkannte die Weisheit darin.
»Ich habe auch neue Bücher erworben, Anna. Wenn du Rosa besuchst, bitte sie, sie dir zu zeigen. Du kannst mitnehmen, was dich davon interessiert. Sie sind recht interessant, eine Abhandlung über Kräuterkunde wird dich erfreuen.« Er zupfte ein Zweiglein Thymian ab und zerrieb es zwischen den Fingern. »Und eines über die Sphärengestalt der Welt.«
»O ja, ich habe davon schon gehört. Die Erde, das feste Element ist die unterste Sphäre, sie wird umgeben vom Wasser, und die Kontinente ragen als Inseln daraus hervor.«
»Richtig. Darüber liegt die Hülle aus Luft und dann folgt die Sphäre des Feuers.«
»Und über allem erstrecken sich die Sphären der Planeten.«
»Und erfüllen das All mit ihrer Musik. Ja, Kind, nimm dir dieses Werk auf jeden Fall mit. Aber eines der Bücher hat meinen Ärger erregt. Es ist eine Schande, dass es überhaupt gedruckt wurde. Es nennt sich Malleus Maleficarum und stammt aus der Feder eines tollwütigenDominus Canus. Er legt darin fest, welche Eigenschaften eine Hexe ausmachen, und es ist ausgesprochen ärgerlich. Was mich besonders wütend macht, Anna, ist die Tatsache, dass sich die gelahrten Professoren unserer Universität bereit erklärt haben, Stellungnahmen dazu zu verfassen, die dieser Dominikaner Institoris auch noch als Lobhudelei mit abdrucken ließ. Ein Werk, so barbarisch an Sprache wie an Gesinnung!«
»Ja, ich habe von diesem Inquisitor gehört. Aber ich weiß von keinen Hexenprozessen hier in Köln.«
»Nein, nicht zu deiner Zeit, Anna. Es gab nur einen vor fünfzehn Jahren, da starb eine alte Zaubersche an der Folter. Aber nun, da dieses Buch verbreitet wird, kann es sein, dass man genauer auf die Frauen schaut, die Männer mit Blicken verfolgen, aus den Sternen lesen oder um Kräutertränke wissen, die wilde Träume verursachen.«
»Ein Buch kann gefährlicher sein als ein Schwert, nicht wahr?«
»Ja, Bücher sind gefährliche Dinge! Und magst du auch noch so belesen sein, Kind, halte dich zurück mit deinem Wissen, wenn du mit Fremden sprichst.«
»Ich kann mich nicht verstellen, das wisst Ihr doch.« »Du kannst den Mund halten.«
Anna grinste.
»Sogar das fällt mir gelegentlich schwer.«
»Ja, ich weiß.«
»Aber mit Euch kann ich reden, Herr, und das ist mir eine große Freude.«
»Kind, mir auch.«
»Dann darf ich Euch etwas fragen?«
»Natürlich.«
»Ihr habt mir letzthin das Werk eines römischen Dichters gegeben, Herr.
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