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Der Bernsteinring: Roman

Der Bernsteinring: Roman

Titel: Der Bernsteinring: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Ovid heißt er, und darin stand einSatz, der mich in Unruhe versetzt hat. Ist es wahr, dass die Heiden glauben, dass die Seele eines Menschen nach seinem Tod in einen anderen Körper übergeht?«
    »Ja, so glauben sie. Sie sagen, dass der Tod nur das Ende des fleischlichen Körpers bedeutet. Und so glauben doch auch wir, dass die Seele unsterblich ist.«
    »Ja... Wir werden dereinst auferstehen und uns dem Gericht stellen müssen. Aber wir leben nur ein Mal.« »Das nehmen wir an.«
    »So sagt es die Bibel.«
    »Ja, so sagt sie.«
    »Ihr glaubt es nicht, Herr?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Anna überlegte einen Moment und drehte dabei den Siegelring an ihrem Finger.
    »Herr, ist es Euch schon einmal passiert, dass Ihr an einen fremden Ort kamt, und ganz sicher wart, ihn schon einmal betreten zu haben?«
    »Ja, Anna. So etwas ist mir schon geschehen. Und ich habe schon Menschen getroffen, die mir zuvor nie begegnet sind, und die mir dennoch seltsam vertraut vorkamen. Du hast so etwas auch erlebt?«
    Anna nickte.
    »Dieser Ring... Ich fand ihn an einem alten Marienaltar. Er... er kam mir so bekannt vor, als habe ich ihn mein Leben lang getragen.«
    »In einem anderen Leben, bevor deine Seele in diesem Körper Wohnstatt nahm.«
    »Könnte es sein, dass die Heiden Recht haben?«
    »Anna, wir wissen weder das eine noch das andere. Aber ich will dir sagen, was mir geschah. Damals, als ich mit den Blattern geschlagen auf den Tod darniederlag, da wanderte ich in meinen Fieberträumen durch seltsame Gefilde. Ich kann mich nicht an alles erinnern,was sich sah, ich möchte es auch nicht. Manches war erschreckend, anderes unglaublich schön. Doch die Gestalten, denen ich begegnete, schienen keine Fremden zu sein.«
    »Wem seid Ihr begegnet?«
    »Königen und Bettlern, Kriegern und Sängern.« »Und den Dieben und den Richtern, den Törichten und den Weisen?«
    »Den keuschen Jungfrauen und der Verführerin, der liebenden Mutter und der Verräterin. Ja, Anna, all diesen bin ich begegnet. Und es hat sich so tief eingeprägt, dass ich ihnen allen nun in dieser Welt wieder zu begegnen scheine.«
    Anna nickte stumm, und er fuhr fort: »Die Versuchung war in manchen Zeiten groß, dort zu bleiben und nicht wieder in das irdische Jammertal zurückzukehren, von dem ich wusste, dass mich Trauer und Leid erwarteten. Dann aber, eines Nachts, traf ich eine Gestalt, ein junges Weib, umgeben von Licht und Süße, das mich bat, sie zu begleiten. Sie nahm mich – oder auch nur meine Seele – an die Hand, und gemeinsam wachten wir in dieser Welt auf.« Hrabanus sah verloren in die Ferne. »Sie war nicht mehr bei mir, als ich mein Bewusstsein wiedererlangte. Doch ich weiß, dass sie lebt...«
    Anna lehnte an eine Buchsbaumhecke, und die Kehle war ihr eng. So gab es denn eine Frau, die Hrabanus liebte, nach der er sich sehnte, und die er nie gefunden hatte. Wie ähnlich sich ihr Schicksal war.
    »Ja, auch ich denke, dass die Seele wandern kann. In den Träumen des tiefsten Schlafes manchmal, und seltsamerweise, wenn ich Bilder male.«
    »Sei achtsam, mit wem du darüber sprichst, mein Kind. Wir beide tragen an einem Zweifel an der kirchlichen Lehre, den wir für uns behalten müssen. Sprichmit niemandem darüber, denn heidnische Gedanken sind nicht gerne gesehen. Schon gar nicht bei einer Frau. Und nun lass uns von anderen Dingen reden. Anna – Carolus, mein Kompagnon, hat im Winter seine Frau verloren. Ein sieches, mageres Geschöpf, das nie recht den Kopf gehoben hat. Es war keine gute Ehe.«
    »Was, Herr, möchtet Ihr damit andeuten?«
    »Er schätzt es, auf Reisen zu gehen. Und auch er hat einen gebildeten Verstand und einen offenen Geist. Ich würde es noch immer begrüßen, Anna, wenn du ihn heiraten würdest.«
    Anna blieb stehen und zerdrückte Salbeiblättchen in der Hand. Ihre langen, nachdenklichen Abende im Skriptorium kamen ihr in den Sinn. Ihre Zweifel an dem Wert des zurückgezogenen Lebens. Die Lebenslust, die Marcel le Breton mit seinen Tändeleien in ihr geweckt hatte.
    »Herr, ich will darüber nachdenken. Wenn Ihr von Eurer Reise zurückkommt, werde ich Euch eine Antwort geben.«
    »Du bist nicht mehr völlig abgeneigt?«
    Sie schüttelte lächelnd den Kopf.
    »Nicht völlig.«

21. Kapitel
 
 Beim Quacksalber
    Er hatte geschwitzt wie ein Stier, hatte sich abreiben, mit Ruten schlagen und bürsten lassen, bis die Haut brannte, hatte den schaurigen, heißen Absud heruntergewürgt und sich schließlich vor Bauchschmerzen auf

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