Der Bernsteinring: Roman
der Latrine gekrümmt. Purgation, innere Säuberung, nannte es der Badstuber, ein feister, rotgesichtiger Mann von derbem Benehmen. Aber er hatte einen guten Ruf. Angeblich war er ein guter Wundheiler und auch überaus geschickt mit dem chirurgischen Besteck. Nicht dass der Mann einen derartigen Eingriff benötigt hätte, vielmehr ging es ihm darum, die lästigen Geschwüre loszuwerden, die sich seit einigen Wochen an einer delikaten Stelle entwickelt hatten. Schon einmal, vor drei Jahren, hatte er derartige hässliche Pusteln gehabt. Mit Schaudern dachte er an die Zeit zurück, als er glaubte, sich die Pest eingefangen zu haben. Aber ein kluger Apotheker hatte ihm eine Pillenkur verabreicht, und die Sache war glimpflich abgelaufen. Nichts war zurückgeblieben, nicht einmal Narben, wie sie die Pocken hinterließen. Doch nun hatte es wieder angefangen. Der kundige Apotheker war weit entfernt in Neapel. Der hiesige Quacksalber hatte keine Ahnung, und seine Salben brannten nur auf der Haut, brachten aber keine Heilung. Deshalb hatte er sich dem Bader anvertraut, der bei gebührender Vorauszahlung bereit gewesen war, ihn zu behandeln. St.-Jobst-Krankheit hatte er sie genannt und behauptet, er habe einen solchen Fall schon einmalkuriert. Mit einem Grinsen hatte er es behauptet und sich anschließend über die Unkeuschheit seines ersten Patienten ausgelassen. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass er wusste, worin diese Beschwerden ihre Ursache hatten. Der Mann hatte mit den Schultern gezuckt. Schon möglich, dass eine der italienischen Huren ihn angesteckt hatte.
Nach der Säuberung hatte der Bader ihm ein schmales Bett oben unter dem Dach zugewiesen, in einem zugigen Raum, wo der Wind durch die Ritzen pfiff, ungemütlich und düster. Aber der Kranke war so mitgenommen durch das starke Abführmittel, dass er dankbar die geflickte Decke über sich zog und versuchte, über den Lärm, der aus der Badestube drang, doch noch einzuschlafen. Die nächsten sieben Tage würde er sich der Kur mit Pillen, Tinkturen und Schröpfköpfen unterziehen und hoffen, dass die Krankheit genauso spurlos verschwinden würde wie beim ersten Mal. Denn da war eine junge Frau, die seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Mehr als andere zuvor. Keine Hure, o nein! Eine ehrbare Dame. Und doch hatte er bemerkt, dass sie nicht ganz so unnahbar war, wie sie tat. Dass sie verbotenes Gut war, erhöhte den Reiz des Abenteuers nur noch.
22. Kapitel
Marcs Besuch
»Du liebe Zeit, was hat der arme Mann denn?«, wollte Cilly wissen.
»Pass im Bio-Unterricht demnächst etwas besser auf, Süße. Diese Szene habe ich Julian zu verdanken, der mir etwas über Geschlechtskrankheiten nahe bringen wollte.«
»Welche?«
»Der Held dieser Geschichte hat sich mit der Syphilis angesteckt. Zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts gab es in unseren Breiten die ersten Ausbrüche der so genannten Franzosenkrankheit oder Lustseuche, weshalb man noch nicht so recht wusste, wie man sie behandeln sollte.«
»Sie ist doch tödlich, oder?«
»Aha, doch aufgepasst. Ja, nach einiger Zeit. Das Unberechenbare an dieser Krankheit ist, dass sie ausbricht und dann wieder von selbst verschwindet. Später, nach Monaten oder erst nach Jahren kehrt sie zurück, und irgendwann befallen die Geschwüre auch die inneren Organe, und die Erreger greifen das Nervensystem und das Gehirn an.«
»Und das war’s dann?«
»Krämpfe, Lähmungen, nachlassende Gehirnfunktion
– schließlich Tod. Vermutlich ein unangenehmer.« »Wie grässlich. Kann man das heute heilen?« »Mit Antibiotika ist das möglich.«
Rose unterbrach unseren medizinischen Exkurs undfragte: »Gibt es eigentlich bei dir Neuigkeiten, Anita? Wir waren so vertieft in Annas Geschichte, dass ich gar nicht mehr daran gedacht habe, zu fragen, ob du deinem Valerius näher gekommen bist.«
»Wenn das Schicksal es will, Rose, werde ich am Mittwoch diese Frage beantwortet bekommen.«
»Was? Hast du seine Spur gefunden? Das sagst du jetzt erst?«
»Ich habe einen Bescheid vom Amtsgericht erhalten. Am Mittwoch ist die Verhandlung, zu der ich als Zeugin geladen bin. Aber...«
»Gegen Valerius? Wegen Nötigung? Was heißt da ›aber‹?«
»Tja, der Angeklagte heißt Valentin Cornelius.«
»Hört sich fast so an wie Valerius. Das könnte also trotzdem stimmen. Du hast ihn doch ziemlich überrumpelt mit deiner Anrede.«
»Das sage ich mir auch. Und jetzt bin ich so nervös, dass mir alle Nerven flattern.«
»Das glaube ich dir. Anita,
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