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Der Besen im System

Titel: Der Besen im System Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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mussten.
    Auf der weißen, leicht angerauten Rückseite des Etiketts war ein Mann gezeichnet, der, in Seitenansicht, einen Hügel hinaufging. Das Profil des Mannes lächelte. Der Hügel sah sandig aus. Es war dieselbe Art Gekritzel, die Lenore auch schon in Lenores Zimmer im Altenheim von Shaker Heights gefunden hatte.
    »Hmmm«, sagte sie. Sie sah den Antichrist an und holte aus einem Reißverschlussfach an der Außenseite ihrer Plastikhandtasche die Zeichnung des Barbiers mit dem explodierenden Kopf. Sie gab die Zeichnung LaVache. LaVache lachte.
    »Ach, der Barbier«, sagte er. »Tja, man kann über die alte Hexe sagen, was man will, aber sie hat etwas, das muss man ihr lassen. Hoffen wir mal, sie ist doch nicht tot.«
    Lenore schaute auf den Antichrist. »Wie nett von dir.« Sie streckte ihren Fuß über das Gras und versetzte dem Bein einen kleinen bösen Tritt.
    »Aua«, sagte LaVache.
    Lenore wischte sich die winzigen Tröpfchen aus der Beregnungsanlage unter den Augen weg. »Seit wann hast du das?«, fragte sie. »Ich dachte, du hättest nicht die geringste Idee, wo Großmutter sein könnte. Oder heißt ›Idee‹ bei dir nicht mehr ›Idee‹, sondern ›Fußnagel‹?«
    Der Antichrist riss ein paar Halme aus der Wiese und sah sie an. »Nein, ›Idee‹ heißt ›Idee‹, aber das hier ist, wie du sicher bemerkt hast, keine Idee, sondern eine Zeichnung. Eine der berüchtigten Lenore-Beadsman-Zeichnungen aus ihrer berüchtigten Schule des Strichmännchen- Symbolismus.« Er lächelte und fasste sich an die Haare. »Erinnerst du dich noch an ihre Zeichnung von John und Dad, die sie damals an Weihnachten gemacht hat? Als John etwas über Miss Malig gesagt hatte, etwas ziemlich Lustiges, und Dad dann meinte, solange er nichts Schönes zu sagen hätte, solle er lieber den Mund halten? Und wie John darauf erklärte, dass das, was er, Dad, selber gerade gesagt hätte, auch nicht unbedingt ›schön‹ gewesen sei und deshalb besser ungesagt geblieben wäre, weil es nämlich ein innerer Widerspruch sei. Und Lenore uns darauf diese Zeichnung von John und Dad gab, auf dem Dads Kopf explodiert und wo er diesen Maiskolben im Hintern hat. Eine echt tödliche Zeichnung, dachte ich damals.«
    »Aber woher hast du diese hier?«, fragte Lenore und sah auf das Etikett. Neben den zerlaufenen Tintenkonturen des Hügels glaubte sie einen Kaktus zu erkennen.
    »Es lag schon in meinem College-Postfach, als ich hier ankam«, sagte LaVache. »Ohne Absender, muss ich sagen, und die Adresse war auch nicht in Lenores berühmt unleserlicher Handschrift geschrieben. Das war vor zehn... vor elf Tagen. Ja, genau, vor elf Tagen.« Der Antichrist hustete feucht und spuckte etwas Weißes aus.
    Lenore versuchte, die Rotzerei zu übersehen, ebenso wie die Tatsache, dass er wieder seinen Kopf kreisen ließ. »Weißt du , was es bedeutet?«, fragte sie.
    »Aber natürlich wissen wir das. Oder etwa nicht, Kleines?«, sagte der Antichrist zu seinem Bein.
    »Dann hast du vielleicht die Güte, auch mich daran teilhaben zu lassen, denn ich habe keinen Schimmer«, sagte sie.
    Der Antichrist saugte am roten Auge der Jointleiche. Lenore sah, dass er den Stummel vorsichtig mit seinen langen Fingernägeln hielt und sich auf diese Weise nicht verbrannte. Er grinste Lenore an. »Was würdest du sagen, wenn ich dich um eine Futterspende für mein Bein bäte?«
    Lenore schaute erst auf ihren Bruder, dann auf das Bein. Sie sagte: »Ich würde dir ein Geschäft vorschlagen. Das Geschäft geht so: Du sagst mir, was du weißt, etwas, das sich auf das Wohlergehen einer von uns beiden geschätzten Person bezieht und das der Grund für diese weite Reise ist, also, du sagst es mir, und ich nehme Abstand davon, dein Bein den Hügel hinunterzuwerfen, wodurch du dir die langwierige, möglicherweise gefährliche, auf jeden Fall aber äußerst peinliche Wiederbeschaffung ersparst.«
    »Ach, sei nicht so«, lächelte der Antichrist, als er sich beiläufig das Bein wieder anschnallte, was eine volle Minute dauerte. Nach getaner Arbeit sagte er: »Die Zeichnung bezieht sich auf eine Stelle in den Ermittlungen , an die sich ein Crack wie du bestimmt besser erinnern müsste als ich, wenn er nur mal ein paar Sekunden nachdenken würde. Nach meiner unmaßgeblichen Erinnerung ist das die Passage auf Seite vierundfünfzig, Anmerkung b in der Übersetzung von Geach und Anscombe. Es geht um das Bild eines Mannes, der, in Seitensicht, einen Hügel erklimmt. Wir sehen jedenfalls, dass

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