Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Besen im System

Titel: Der Besen im System Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
Vom Netzwerk:
guck.« Lenore dachte an sich im Haus der Spaniards und wie sie dort eine gefrorene Erbse gegessen hatte.
    »Bescheuerter Einwand , vor allem von dir«, sprach der Antichrist in den Himmel. »Denkst du denn wirklich über dich nach? Als wen oder was denkst du dich? Soll ich dich an einige unserer interessanteren und für mich nicht wenig beunruhigenden Gespräche aus den vergangenen zwei Jahren erinnern? Wenn du dich nämlich selber nicht als real denken kannst, dann schummelst du, dann spielst du nicht fair und mogelst dich an der Rutsche vorbei und denkst vor allen Dingen dich nicht.«
    »Wer sagt, dass ich mich nicht als real denke?«, sagte Lenore und sah an dem Antichrist vorbei zu dem Busch, in dem er zur Toilette gegangen war.
    »Ich bin geneigt zu sagen: du selbst. Aufgrund deines eigenen Verhaltens. Es sei denn, dieser kleine Mann mit dem großen Schnäuzer und den Automatikstühlen hat dir auf den Kopf gehauen«, sagte der Antichrist. »Meine fundierte, fachliche Meinung dazu ist, dass du dich, als natürliche Abwehrreaktion auf deine Lebensumstände, entschlossen hast, dich nicht mehr als real zu betrachten – natürlich mit freundlicher Unterstützung von Großmütterchen Lenore.« LaVache sah sie an. »Warum das so ist, fragst du?«
    »Wie dir vielleicht aufgefallen ist, habe ich überhaupt nichts gefragt.«
    »Es ist so, weil die ganze Wucht des Bösen – darf ich sagen des Bösen? – in dieser Familie auf dein Haupt geladen wurde. Das Böse in Form von Lenores Indoktrination, welche für sich genommen, wie ich leider sagen muss, eher jämmerlich und klein ist und zwar in extremis. Das Böse in Form von Dad, der erst das Leben deiner Mutter für alle Zeiten versaut hat und jetzt versucht, dein Leben zu versauen auf eine Art, die du nicht einmal begreifst und wohl auch nicht begreifen willst. Denk nur an die Umstände, die zu meiner Geburt geführt haben. Und genauso, wie er das Leben aller anderen versaut, will er auch mein Leben versauen. Genauso, wie er in seiner Zeit versaut wurde, von Narren in Frack und Zylinder.« Der Antichrist lachte. »Das ist ein Gedicht. Jedenfalls hast du das volle Pfund davon abgekriegt. John hat sich mit seinen Rechenschiebern und mit großem masochistischen Gepäck nach Chicago davongemacht, ehe er für Dad oder Lenore von Nutzen sein konnte. Ich habe meine Prothese als Ausrede. Clarice war von ihrer ganzen Veranlagung her schlicht ungeeignet. Wir müssen das auch gar nicht im Einzelnen besprechen. Also bleibst nur noch du. Du bist die ganze Familie, Lenore. Und was Dad angeht, nimm obigen Satz und ersetze ›Familie‹ durch ›Firma‹, dann hast du es.«
    Lenore griff unter sich und zog ein Stück Zweig hervor, auf dem sie gesessen hatte.
    »Aber Lenore hat dein Leben noch weiter versaut, meine Süße«, sagte der Antichrist und setzte sich, den Joint in der Hand, wieder auf. »Lenore hat in dir – unterbrich mich, wenn es nicht stimmt – Lenore hat in dir die Überzeugung verankert, du seiest im eigentlichen Sinne nicht real oder lediglich insofern real, als von dir gesprochen wird, was so weit geht, dass du nur unter einer gewissen Kontrolle wirklich real bist, also eher eine Figur in einem Stück als eine echte Person. Klar, und Lenore redet dir ein, beides sei ein und dasselbe.«
    »Warum kann es jetzt nicht regnen?«, fragte Lenore.
    »Du warst noch vorhin unter der Dusche«, lachte LaVache. »Du bist ein nervliches Wrack, Schwester, weißt du das? Hier, hör auf, so nervös zu sein, zieh dir ein Tütchen rein.« Der Antichrist hielt ihr den Joint hin, der, wie Lenore bemerkte, auf einer Seite sehr viel schneller abbrannte als auf der anderen.
    »Nein, ich will nicht«, sagte Lenore. Sie blinzelte in die Sonne, die sich wie Kilroy hinterm Dach der Sporthalle festhielt. »Wie wär’s, wenn wir – ganz spontan – dieses Thema beiseite legen, Stoney? Wenn ich dir also meine ursprüngliche Frage noch einmal vorlege, wärst du unter Umständen bereit, diese zu...«
    »Aber nenn mich nicht Stoney«, sagte LaVache. »Sag I.aVache zu mir oder Antichrist, aber nicht Stoney.«
    »Wie, gegen Antichrist hast du nichts, aber gegen Stoney? Mein Gott, Antichrist, wie kann man sich nur so nennen!«
    »Aber Stoney heißt jeder«, sagte der Antichrist. Abermals spuckte er etwas Weißes aus. »Jeder in der Familie mit männlichen Geschlechtsmerkmalen heißt Stoney. Stoney erinnert mich immer daran, dass ich Teil einer Maschine bin, mit der ich eigentlich nichts zu tun haben

Weitere Kostenlose Bücher