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Der Besen im System

Titel: Der Besen im System Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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diese Aufgabe. Oft, wenn ich die Windeln wechselte, heiße, voll gesogene oder verdächtig schwere Windeln gegen neue knisternde Plastik-Pampers tauschte und der kleine Kerl vor mir lag und mit seinen teigigen kleinen Beinen strampelte, urinierte er auf meine hinabhängende Krawatte. Ein dünner süßlicher Strahl, der Geruch von Puder, die tropfende, plötzlich sehr viel schwerere Krawatte, wir konnten beide darüber lachen, damals, er zahnlos und traurig, ich nur müde. Einige dieser Krawatten besitze ich immer noch, steif und farblos hängen sie über ihrem gezackten Halter an der Innenseite der Schranktür und schlagen gegen das Holz, sobald der Wind der Erinnerung durch die dunklen Ecken in meiner Wohnung weht
    Es war ein Kind mit einer engen, aber seltsamen Beziehung zu seiner Umgebung, ein stilles Kind mit dunklen Augen, das seit dem ersten eigenen Schritt, der ersten eigenen Entscheidung die Welt auf seine persönliche, verbotene Weise spiegelte. Vance war für mich eine Reflexion. In seiner Kinderwelt spielte er die großen Momente unserer Geschichte nach.
    Schon mit jungen Jahren trug er am liebsten dunkle Sachen und ein Band um die Stirn, rauchte Schokoladenzigaretten und startete Überraschungsangriffe in einzelne Zimmer unseres Hauses, wirbelnd, keuchend, um sich schlagend, bis er sich hinter einem Möbelstück verkroch und stumm die Fäuste ballte. Dann ein lautloser Beutezug in die Küche: Später fehlte das Katzenfutter. Ein Überfall auf mein Arbeitszimmer: In ein Bein meines Schreibtischs war ein vertikaler Kratzer, offenbar mit einer Nadel eingeritzt. Und auf der Terrasse krabbelten ahnungslose Ameisen in ihr Verderben, als sie mit einem Tennisball bombardiert und zuverlässig ausgelöscht wurden. In solchen Momenten schauten wir uns über unsere Gin Tonics hinweg an, Veronica und ich. Wir waren ratlos und machten uns Sorgen. Veronica vermutete sogar eine ernste psychische Störung dahinter. Bis wir eines Abends beim Abendessen seine Augen sahen. Es war im Fernsehen, die Nachrichten liefen und die Korrespondenten lieferten die neusten Zahlen über das Massensterben in Indochina. Reglos und scheinbar ohne zu atmen, starrte Vance auf den Bildschirm. Und später, nach Kissingers Erfolg bei den Friedensgesprächen von Paris, verwandelte sich auch unser Haus in Scarsdale in eine entmilitarisierte Zone.
    In dieser Zeit fanden wir Vance oft allein in irgendeinem Zimmer. Er stand in der Ecke, mit dem Gesicht zur Wand und erhobenen Armen, und zwei Finger machten das Peace -Zeichen. Es wurde zunehmend deutlich, dass Vance über das Wunder der Television ein spezielles Verhältnis zu Richard Nixon entwickelte. Und als Watergate in Technicolor zur schönsten Blüte reifte, wurde mein Sohn ganz blass um die Nase. Er konnte einem auch nicht mehr in die Augen sehen oder erklären, wo er gewesen war und was er gemacht hatte und warum. Irgendwann tauchte mein Tonbandgerät, wenn auch ohne Tonband oder Stromversorgung, an den unmöglichsten Stellen auf, beim Abendessen unter unserem Esstisch, auf dem Rücksitz meines Wagens, unter unserem Ehebett, in der Schublade des Posttischs. Darauf angesprochen, sah Vance teilnahmslos erst auf das Tonbandgerät und dann auf uns. Anschließend tat er so, als schaue er auf die Uhr. Nach Nixons Rücktritt lag Vance eine Woche lang krank im Bett, mit echten Symptomen. Allmählich bekamen wir es mit der Angst zu tun. Es folgten Jahre, in denen er mit stiller offiziöser Geste sowohl uns als auch der Welt im Allgemeinen all die Untaten vergab, die an ihm begangen worden waren. Beim geringsten Tadel warf er sich auf den Fußboden und bedeckte die Brust mit den Armen; er machte Saltos rückwärts von der Couch und landete sauber auf beiden Füßen, aber an der Decke entstand jedes Mal ein neuer Riss; zur Schule ging er in seinem kleinen Anzug und brachte immer jemanden dazu, ihm seine winzige Aktentasche hinterherzutragen, die er von uns zu Weihnachten verlangt hatte; er lief mit verbundenen Augen durch Zimmer, in denen zerrissene Zeichnungen des Sternenbanners lagen. Niemand wusste, was das alles zu bedeuten hatte, aber es war die Welt, die ein monadenhafter Vance Vigorous durch seine Person reflektierte. Ich hätte ihn lieber im richtigen Leben gesehen.
    Im Sport war er übrigens sehr gut, drosch den Kinder- Baseballschläger aus Alu, dass es schallte, donnerte den herbstlich harten Football gen Himmel und versenkte Basketbälle in wispernde Körbe. Beim Football lief er immer

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