Der Besen im System
Aber meld dich mal wieder.
– Nein... warte noch!
– Was ist?
– Was ist mit Rummage? Hat er Rummage mitgenommen?
– Tja, keine Ahnung. Wäre aber eine Überlegung wert.
– Frag doch mal bei Rummage &. Naw nach. Hast du die Nummer?
– Wie witzig. Nummern habe ich jede Menge.
– Bis dann.
– Frequent & Vigorous.
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Was keinesfalls bedeutet, dass alles immer so rosig gewesen ist. Mein Unvermögen, wirklich in ihr zu sein, umgeben von Lenore, weckte in mir das natürliche Bedürfnis, sie in mir zu haben. Ich bin ein besitzergreifendes Wesen. Ich will sie besitzen, manchmal jedenfalls. Und bei einem Mädchen, das vor allem anderen Angst davor hat, nicht einmal sich selber zu gehören, stößt dieser Wunsch nicht unbedingt auf Verständnis.
Dazu kommt, ich bin wahnsinnig eifersüchtig. Lenore hat eine Art, die Männer anzieht. Es ist keine normale Art oder etwas, das sich in Worte fassen lässt. »...«, sagte er, als er das Gemeinte umschreiben wollte. »Verletzlich« ist ein schlechtes Wort dafür, »spielerisch« ebenso. Beide Begriffe legen Lenore fest und sind daher unbrauchbar. Lenore hat etwas an sich, das alles in ein Spiel verwandelt. Punkt. Da dies alles nur wenig Sinn ergibt, trifft es vermutlich zu. Wortlos fordert sie einen zu einem Spiel heraus, das darin besteht, die Regeln des Spiels herauszufinden. Na, wie klingt das? Die Regeln des Spiels sind Lenore, und spielen heißt, mit sich spielen lassen. Finde die Regeln meines Spiels heraus, lacht sie, indem du spielst. Und auf das Spielbrett fallen Schatten wie Zaunspitzen: der Erieview Tower, Lenores Vater, Dr. Jay, Lenores Urgroßmutter.
Manchmal singt Lenore unter der Dusche. Sie singt laut und schön, aber sie hat ja auch genug Übung. Und ich sitze auf dem Klodeckel oder stehe am Waschbecken, lese Manuskripte und rauche diese Nelkenzigaretten, eine Gewohnheit, die ich von Lenore übernommen habe.
Lenores Verhältnis zu ihrer Urgroßmutter ist kein gesundes. Ich bin der Frau nur ein- oder zweimal begegnet, und das zum Glück auch nur kurz, denn in ihrem Zimmer war es so heiß, dass es einem den Atem verschlug. Sie ist ein kleines, vogelähnliches Wesen mit scharfen Gesichtszügen und steinalt. Rüstig ist sie nicht mehr, und man steht auch nicht in der Versuchung, ihr ein langes Leben zu wünschen. Sie ist eine hartherzige Frau, eine kalte Frau, eine zänkische und durch und durch egoistische Frau, jemand mit einem enormen intellektuellen Anspruch und vermutlich sogar den entsprechenden Fähigkeiten. Sie indoktriniert Lenore. Sie und Lenore können stundenlang »reden«, aber Lenore hört nur zu. Dem ganzen Vorgang haftet etwas Säuerliches und Unappetitliches an. Lenore Beadsman will mir aber nichts Näheres über ihr Verhältnis zu l.enore Beadsman sagen. Auch Dr. Jay erfährt nichts, falls dieser Bastard die Wahrheit sagt und nicht noch ein Ass im Ärmel hat.
Fest steht, dass diese Urgroßmutter festgefügte Vorstellungen vertritt. Meiner Meinung nach schadet sie Lenore damit. Ich glaube auch, dass sie das weiß, dass es ihr aber egal ist. Nach allem, was ich weiß, hat sie Lenore eingeredet, sie sei im Besitz von Wörtern mit unvorstellbarer Macht. Wirklich, das ist kein Witz. Nicht von Dingen oder bestimmten Ideen, sondern Wörtern. Diese Frau ist ganz besessen von Wörtern. Die genauen Hintergründe durchschaue ich natürlich nicht und zweifle auch, ob ich das möchte, aber offenbar war sie damals auf dem College eine Art Genie und erwarb sich einen Platz im Graduiertenprogramm der Universität Cambridge, was damals, in den Zwanzigerjahren, für eine Frau sicherlich keine geringe l.eistung war. Auf jeden Fall hat sie dort klassische Literatur, Philosophie und wer weiß was noch alles studiert, aber ausgerechnet bei einem durchgeknallten Genie namens Wittgenstein, der die Auffassung vertrat, alles auf der Welt sei Sprache. Im Ernst. Wenn dein Auto nicht ansprang, lag der Fehler irgendwo in der Sprache. Liebesunfähigkeit bedeutete, du warst verloren in der Sprache. Verstopfung hatte sein Ursache in einer Blockade linguistischer Sedimente. Ich hielt das ja schon immer für Quatsch, aber Lenore Beadsman glaubte fest daran und hatte siebzig Jahre Zeit, diesen Unfug auf kleiner Flamme so aufzubereiten, dass sie ihn heute in wöchentlichen Portionen ihrer hitzegeschwächten Urenkelin verabreichen kann. Sie ködert Lenore beispielsweise mit einem bestimmten geheimnisvollen Buch, so wie ein grausames Kind ein Tier mit etwas zu
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