Der Besen im System
ein absonderliches, geradezu außerirdisches »Hallo, Süßer« von sich gab. Ein Vogel, der mehr als gelegentlich die sprichwörtliche Hand biss, die ihn fütterte, ehe der Tanz vor seiner konturlosen Reflexion im Spiegel aufs Neue begann, wo selbst die äußerste Verrenkung kein klareres Bild erbrachte. Lenore putzte den Spiegel nicht mehr, seit sich herausgestellt hatte, dass bereits ein halbe Stunde später alles wieder voll gesabbert war. Neben dem Beutel mit Vogelfutter ein Handstaubsauger der Marke Black & Decker für herumliegende Körner, Federn und Guano-Bröckchen. Der Staubsauger war einige Abende zuvor aus seiner Wandhalterung gefallen.
Einige persönliche Gegenstände im Badezimmer. Ein Wandschrank voller weißer Kleider. Ein Schuhschrank, aus dem einen nur schwarze Turnschuhe anstarrten. Ein halb volles Bücherbord über dem Schreibtisch mit Büchern auf Spanisch. Dazu eine nervtötende Uhr, die jede volle Minute klickte und mit einem kurzen Summton quittierte, und ein kleines spanisches Tonpferdchen, in dem sich Lenores Zweitschlüssel für die Wohnung befand. Über dem Westfenster eine kaputte Jalousie, die jedem auf den Kopf knallte, der versuchte, sie herunterzulassen. Winzige Sprünge im Fenster, verursacht vom Flugzeuglärm.
Ein Ratgeber mit dem Titel Exotenpflege leicht gemacht . Hackspuren an der Wand hinter dem Käfig von Vlad dem Pfähler, verursacht von Vlad selbst, wenn er nachts im Dunkeln, nach Ende der Spiegel-Vorstellung, seinen harten Schnabel in den Putz stieß, worüber Mrs. Tissaw nicht erfreut war und eine diesbezügliche Rechnung in Aussicht gestellt hatte.
Nachdem Rick sie vor dem Haus abgesetzt hatte, rannte sie schnell nach oben und zog ihr Kleid aus. Musik und Nelkengeruch drangen aus Candys Zimmer. In Lenore»Zimmer stand das Orange eines traurigen, heißen Sonnenuntergangs. Vlad der Pfähler hatte sich in die oberen Gitterstäbe eingehängt und versuchte kopfüber, am unteren Rand des beschmierten Spiegels sein Bild zu erhaschen,
»Hi, Vlad du Pfähler«, sagte Lenore ohne Kleid, nur in Unterhose, BH und Schuhen.
»Hallo«, sagte Vlad der Pfähler.
Lenore schaute den Vogel an. »Wie bitte?«
»Ich muss tun, was für mich persönlich das Beste ist«, sagte Vlad der Pfähler, drehte sich richtig herum und blickte auf Lenore.
»Heiliger Strohsack!«
»Auch Frauen brauchen Raum zur Entfaltung.«
»Candy!« Lenore ging hinaus und öffnete die Tür zu Candys Zimmer. Candy machte gerade ihre Stretch-Übungen. In ihrem silbernen Body, eine Nelken-Zigarette zwischen den Lippen, saß sie auf dem Boden und tastete sich an einen Spagat heran.
»Na endlich, Sweetie, ich habe schon auf dich gewartet.« Candy stand auf und schaltete die Stereoanlage aus.
»Komm mal kurz rüber und hör dir Vlad an«, sagte Lenore und zog Candy mit sich.
»Hübsches Outfit«, sagte Candy. »Gibt’s was Neues in Sachen ungeklärter Notfall? Wie geht’s Lenore und Concarnadine?«
»Du bist wirklich nett, aber diese Diskussionen führen zu nichts«, sagte Vlad der Pfähler und starrte dumpf in den blinden Spiegel. »Ich empfinde sehr viel für dich, ich habe nie etwas anderes behauptet.«
»Was zum Teufel ist los mit ihm?«, fragte Lenore.
»Hey, das ist genau das, was ich vorhin gesagt habe«, sagte Candy und schaute auf Vlad den Pfähler.
»Wie bitte?«, sagte Vlad der Pfähler.
»Ich habe mir nur zurechtgelegt, was ich Clint heute Abend sagen will. Ich mache nämlich mit ihm Schluss. Und während ich auf dich gewartet habe, dachte ich, übe ich schon ein bisschen.«
»Hi, Vlad der Pfähler«, sagte Vlad der Pfähler. »Jetzt gibt’s extra lecker Jammjamm-Happa.«
»Warum kann er auf einmal reden?«, fragte Lenore. »Früher war es nur »Hallo, Süßer«. Und das auch nur, wenn man ihm vorher tonnenweise Futter gegeben hat.«
»Clinty, es gibt so viele hübsche Mädchen auf der Welt. Wenn du nur nicht gleich so klammern würdest«, sagte Vlad der Pfähler.
»Clinty?«, sagte Lenore.
»Clint Roxbee-Cox, stellvertretender Direktor bei Allied. Der mit dem Mercedes. Der mit der Brille. Der mit dem englischen Akzent.«
»Clint, Clint, Clint«, schnatterte Vlad der Pfähler.
»Schnauze«, sagte Candy Mandible.
»Wut und Ärger sind ganz natürliche Reaktionen«, sagte Vlad der Pfähler. »Wut und Ärger haben entlastende Funktion, lass alles raus.«
»Komisch, das hat er ja noch nie gemacht.«
In das orangefarbene Licht auf dem glänzenden Parkett schoben sich schlanke schwarze
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