Der bessere Mensch
wie immer im Laufschritt. Wahrscheinlich eine Neurose, die er im ständigen Wettlauf gegen das organisierte Verbrechen entwickelt hat, dachte Schäfer und reichte ihm die Hand.
„Habt ihr in den nächsten Tagen irgendwelche Razzien laufen?“, fragte Schäfer nach einem kurzen, belanglosen Austausch über Wetter, Welt und Vorgesetzte.
„Was brauchst du?“
„Eine Telefonnummer“, antwortete Schäfer und holte einen Notizzettel aus seiner Jacketttasche, „der letzte Anruf, den Born erhalten hat, bevor sie ihm das Licht abgedreht haben … niemand von seinen Bekannten kennt die Nummer. Möglich, dass er sich mit Prostituierten beliefern hat lassen … und das ist zurzeit die einzige Spur …“
„Wie oft ist er von dieser Nummer angerufen worden?“ Martinek strich mit dem Zeigefinger über die Nummer, als könne sie allein dadurch ihr Geheimnis preisgeben.
„Einmal … das Handy ist erst vor vier Wochen angemeldet worden …“
„Hast du dich schon umgehört bei unseren Freunden?“
„Ja“, meinte Schäfer ausweichend, „nichts … seit Mugabes Aktion ist die Auskunftsbereitschaft begrenzt.“
„Ja, das haben wir auch schon gemerkt … Idiot … und jetzt willst du, dass ich bei jeder Razzia ein paar Handys einsammle und überprüfe, ob diese Nummer gespeichert ist … richtig?“
„Genau …“
„Am Wochenende steht was an … und zwei Aktionen kann ich vorziehen, wenn der Staatsanwalt sein Okay gibt … das wäre mir ohnehin ganz recht …“
„Damit würdest du uns einen großen Gefallen tun …“
„Jederzeit … aber versprechen kann ich nichts.“ Martinek winkte den Kellner heran. Sitzen war wirklich nicht seins.
Als Schäfer sich von der Rückenlehne wegdrückte, um aufzustehen, bemerkte er, dass sein Hemd am Rücken völlig nass war. So heiß war es in dem schattigen Innenhof doch gar nicht, wunderte er sich, verließ den Gastgarten und machte sich auf den Heimweg.
Später saß er am Balkon und telefonierte mit Isabelle. Er war wortkarg und kam über ein paar Phrasen den Tagesablauf betreffend nicht hinaus. Wie denn auch. Jeder Satz machte ihm schmerzhaft bewusst, dass es jetzt nicht Worte waren, die er mit ihr austauschen wollte. Wie lange würden sie das noch aushalten? Immer war er der Meinung gewesen, dass er zu viel Freiraum brauchte, als dass eine Beziehung funktionieren könnte. Und jetzt wünschte er sich keinen Zentimeter zwischen ihnen beiden. Er wünschte ihr eine gute Nacht und beendete das Gespräch. Wo war denn Wedekind? Jetzt, da Schäfer einmal nichts gegen die Gesellschaft seines wunderlichen Nachbarn gehabt hätte. Tu dir nicht selbst so leid, ermahnte er sich und ging in die Küche, um sich eine Dose Gulasch aufzuwärmen.
Als er wieder am Balkon saß und lustlos einen Fleischbrocken nach dem anderen in den Mund schob, trat sein Nachbar ins Freie. Mit einem stummen Nicken begrüßte er Schäfer und lächelte ihn verständnisvoll an. Der Mann spürt Schwingungen, sagte sich Schäfer, der sieht Auren und so Zeugs.
„Hallo … haben Sie Lust auf ein Glas Bier?“
„Ich trinke keinen Alkohol … aber wenn ich eine Tasse Tee mitbringen darf, setze ich mich gerne einen Augenblick zu Ihnen.“
„Sicher“, freute sich Schäfer und ging zur Wohnungstür, um seinen Nachbarn hereinzulassen. Er holte sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank, ging mit Wedekind auf den Balkon und klappte einen zweiten Liegestuhl auf.
„Wie funktioniert das eigentlich, was Sie machen?“, wollte Schäfer wissen, nachdem sie ein paar Minuten schweigsam eine Ameisenstraße betrachtet hatten, die von einem winzigen Loch in der Mauer über das Balkongeländer führte und dann zwischen den Blumentöpfen verschwand.
„Zusammenhänge“, antwortete Wedekind, „ein System von Energieflüssen und sich wechselseitig beeinflussenden Zuständen, die den ganzen Körper und folglich auch den Geist betreffen.“
„Hm … und wie sehen Sie das?“
„Ich spüre es … das klingt für Sie jetzt vielleicht esoterisch, aber es ist nur eine Form der Sinneswahrnehmung, die den meisten in unserer Gesellschaft abhandengekommen ist … mit ein bisschen Sensibilität kann das jeder wieder lernen …“
„Kann man damit auch … so was wie … funktioniert das auch bei Gemütszuständen?“
„Sicher … aber Sie dürfen sich das nicht wie einen Schalter vorstellen, den ich drücke und dann passt wieder alles … das ist ein langsames, wiederholtes Einrichten, an dem Sie sich genauso beteiligen
Weitere Kostenlose Bücher