Der beste Tag meines Lebens
zu liegen gekommen war. Etwas an seinem Gesichtsausdruck gab Colin das ungute Gefühl, Rudy starre ihn an. Colin wich zurück, aber Rudys Augen schienen ihn zu verfolgen. Colin fühlte sich unbehaglich, egal in welche Ecke seines Zimmers er ging. Am Ende drehte er das Foto um. Die anderen Reste seiner Beziehungskarte ließ er einfach liegen und kroch in sein Bett.
Wenige Augenblicke später waren die Traumata des vergangenen Tages zwar noch nicht vergessen, aber ordentlich abgelegt, und Colin fiel in einen tiefen Schlaf.
***
Als Colins Eltern am nächsten Morgen aufwachten, fanden sie ihre Weingläser zugedeckt auf einem Sideboard wieder. Die Küche war tadellos aufgeräumt. Es duftete nach Speck, French Toast und warmem Ahornsirup. Auf dem Tisch standen drei Gedecke, jeweils mit einem Glas Saft.
»Guten Morgen«, sagte Colin. Er saß in einem Lehnstuhl und las in dem Buch über Haie, das seine Eltern ihm mal geschenkt hatten, als er noch klein war. »Ich habe Frühstück für alle gemacht.«
»Leistest du uns Gesellschaft?«, fragte sein Vater und war sichtlich beeindruckt. Er deutete auf das dritte Gedeck und wollte Colin auf diese Weise auffordern, sich hinzusetzen.
»O nein«, sagte Colin, »ich habe schon gegessen.«
Er wandte sich wieder seinem Buch zu, und seine Eltern aßen, was er für sie vorbereitet hatte. Danny stieß ein paar Minuten später zu ihnen und war überrascht, mal etwas Aufwendigeres als Cornflakes vorzufinden. Er fragte sowieso nie, wer ihm etwas zu essen machte, und bedankte sich auch nicht dafür. Aber jetzt lächelte er bei jedem Bissen GLÜCKLICH . Doch auch das war eigentlich egal, denn Colin war längst zur Tür hinaus und auf dem Weg zur Schule.
12 . Kapitel
Kostprobe
Als ich noch klein war, kaufte mein Vater mir ein Buch über Haie und andere gefährliche Meeresbewohner wie Killerwale und Riesenkraken. Die waren alle sehr interessant, doch mein Lieblingsraubtier der Ozeane ist schon immer der weiße Hai.
Mit seinen bis zu acht Metern Länge und einem Gewicht von maximal dreieinhalb Tonnen, einem Maul voller gesägter, messerscharfer Zähne findet man Carcharodon carcharias in allen Meeren der Erde. Er ist für mehr Angriffe auf Menschen verantwortlich als jede andere Haiart. Bedenkt man seine Größe, Wildheit und seinen Status als Spitzenprädator, überrascht das kaum. Erstaunlich ist allerdings, dass die meisten dieser Angriffe nicht tödlich enden.
Zunächst vermuteten Wissenschaftler, dass ein Mensch auf einem Surf- oder Paddelbrett im Wasser von unten in seinen Umrissen einer Robbe oder einem Seelöwen gleicht – der Leibspeise des Weißhais. Da es die übliche Taktik des Haies ist, seiner Beute einen raschen, verheerenden Biss zuzufügen und dann zu warten, bis das unglückselige Tier verblutet, lautete die Theorie, seine Opfer hätten nach dem ersten Biss noch Gelegenheit, sich aus dem Wasser zu retten. Diese Theorie wurde anfangs zwar weitgehend akzeptiert, erwies sich jedoch als falsch.
Weitere Untersuchungen ergaben nämlich Unerwartetes: In den meisten Fällen bissen Weißhaie Menschen nur mit einem Bruchteil ihrer üblichen Bisskraft von maximal gut 18 000 Newton. Die meisten Opfer von Menschenhaien wurden sogar überhaupt nicht attackiert. Sie erlitten nur »Testbisse«. Diese leichten, versuchsweisen Kostproben sind die Methode, mit der ein weißer Hai befremdliche oder unbekannte Objekte in seinem Territorium untersucht. Ein plumper, zweibeiniger Landsäuger, der versucht, im Meer zu schwimmen, muss für ihn in der Tat befremdlich und unbekannt wirken. Natürlich endet eine nicht unbeträchtliche Zahl dieser Untersuchungen mit dem Tod aufgrund von Blutverlust oder Enthauptung, aber damit muss man wohl rechnen.
Wenn derjenige, der einen untersucht, ein dreieinhalb Tonnen schwerer Hai ist, dann kann sich eben selbst ein zarter Erkundungsversuch schon fatal auswirken.
***
Es war genau zwölf Uhr mittags, als Colin Eddie und seinen Freunden wieder begegnete.
Rasch und zielstrebig marschierte Colin durch die Eingangshalle, das Notizbuch an die Brust gepresst, die Brille ganz gerade auf dem Nasenrücken. Er wusste, dass ihm genau 2 Minuten und 27 Sekunden blieben, bis es zum zweiten Mal klingeln und ein gelangweilter Lehrer ihn in die Cafeteria scheuchen würde. Doch die war ein viel zu stark frequentierter Ort für das, was Colin vorschwebte. Als Folge seiner Begegnung mit
La Familia
hatte Colin sich ganz andere Fragen für Eddie und seine Freunde
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