Der beste Tag meines Lebens
gemeinsam machen, dann wette ich, haben wir das in null Komma nichts wieder in Ordnung gebracht.«
Colin schaute in sein quasi zerstörtes Zimmer. Als er den Mund aufmachte, kamen die Worte langsam und bedächtig heraus. Er strengte sich an, bei dem Anblick nicht wieder auszurasten: »Nein, danke. Wenn ihr nichts dagegen habt, dann würde ich das lieber allein machen. Gute Nacht.«
»Okay«, versicherte seine Mutter ihm. Ihr Ton verriet, dass ihr eine andere Antwort lieber gewesen wäre. »Wenn du irgendwas brauchen solltest, weißt du ja, wo du uns findest.«
»Ja, das weiß ich. Entweder beim Weintrinken in der Küche oder oben in eurem Zimmer beim Ansehen eines Films mit Gewalt und Nackten.«
Und damit ging Colin in sein Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
***
Colins Aufregung und Wut drohten, ihn erneut zu übermannen, als er den Zustand seiner Sachen begutachtete. Es schien zwar, als sei bei Dannys Stöberei nichts kaputtgegangen, doch hatte Colin ganz spezielle Vorstellungen davon, wo jedes Ding seinen Platz haben sollte. Am Ende dieses Tages, der für seine Verhältnisse ohnehin schon eine beträchtliche Herausforderung gewesen war, wirkte der Schock angesichts der Zerstörung eines Ortes, der ihm bislang stets sicher und vertraut erschienen war, fast unerträglich heftig.
Colin zwang sich, die Augen zu schließen. Er wollte noch einmal das Bild des Zimmers vor seinem geistigen Auge sehen, um die Sachen an ihre angestammten Plätze zurückzulegen. Eine rasche Inventur im Kopf bestätigte ihm, dass nichts von seinen Besitztümern fehlte. Das reduzierte seinen Stress-Level erheblich.
Colin schloss erneut die Augen. Er beschwor ein Bild seines Zimmers herauf, wie es in aufgeräumtem Zustand aussah. Doch zu seinem Erstaunen kam ihm unaufgefordert eine ganz andere Szene in den Sinn: die Schulcafeteria in dem Augenblick, als die Pistole abgefeuert wurde.
Colin hörte den ohrenbetäubenden Knall in dem geschlossenen Raum. Er spürte, wie seine Trommelfelle schmerzhaft dröhnten. Er roch das ätzende Pulver aus der Patrone, das den Karottengeschmack in seinem Mund verdrängte. Er sah Schüler und sogar Lehrer in Panik davonrennen. Er sah die Waffe auf dem Boden, der Pistolengriff verschmiert mit rosa-weißer Kuchenglasur.
Kurz fragte Colin sich, ob er eventuell an einem posttraumatischen Stresssyndrom litt. [28]
Nein,
befand er. Denn während er die Erinnerung an den Pistolenschuss und das danach folgende Chaos noch einmal durchlebte, verspürte er keinerlei negative Emotionen. Nur Neugier und den Wunsch, diesem Rätsel auf den Grund zu gehen.
Colin kam zu dem Schluss, dass sein Unterbewusstsein ihm damit etwas mitzuteilen versuchte. In der Cafeteria war an jenem Tag etwas ebenso in Unordnung gewesen wie im Moment die Dinge in seinem Zimmer. Etwas, das ihm fehlte – das ihm einen Hinweis auf die Identität des Besitzers der Waffe geben konnte. Colin war sich da ganz sicher. Er spulte seine Erinnerungen an die Momente vor dem Schuss zurück, ließ sich Details durch den Kopf gehen, wie klein sie auch sein mochten. Die visuellen Eindrücke, Gerüche, Geräusche. Die anwesenden Personen und was sie gemacht hatten. Doch Colin wusste, dass der menschliche Verstand leider ein ziemlich ungenügendes Aufnahmegerät ist. Statt die Dinge objektiv zu präsentieren, neigt er dazu, das in den Vordergrund zu stellen, was ihm am interessantesten scheint. In Colins Fall bedeutete das, die wichtigsten Erinnerungen an die Zeit kurz vor dem Schuss waren die an Melissa Greer, die sich über den Tisch beugte, um ihn zu einem Stück Kuchen einzuladen … der Erdbeerduft ihres Shampoos … ihre unerwartet leise, heisere Stimme … wie ihre Bluse saß, als sie sich vorbeugte und den Blick auf ihr Dekolleté freigab …
Colin riss die Augen auf. Er wusste noch immer nicht, was an jenem Tag in der Cafeteria anders als sonst gewesen war. Aber es genügte vorläufig zu wissen, dass etwas fehlte – etwas Wichtiges. Er schaute noch einmal auf den Haufen aus Büchern und Papieren, die auf seinem Teppich verstreut lagen, dann auf die Reste seines Schaubilds. Es wirkte total durcheinander. Keine der Beziehungen stimmte noch: Die Sportskanonen lagen neben den Nerds. Aus Liebschaften waren Feindschaften geworden, aus Abneigungen Freundschaft. Colin entdeckte das schwarze Rechteck, auf das er
Wayne
geschrieben hatte. Es lag allein in einer Ecke. Als er es zu den anderen trug, bemerkte er, dass das Foto von Rudy Moore ganz oben
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