Der Bestseller
schöne Frauen, die ihr sexuelles Interesse an einem Mann recht unverblümt zeigen, ganz gleich, ob noch andere Leute anwesend sind oder nicht, aber ich hätte geschworen, daß Claire eine schwer zu verführende Frau war und daß, wenn e s überhaupt zu einem Seitensprung kam, sie verführt werden mußte: Sie selbst hätte niemals den ersten Schritt getan. Dennoch nahm ich an, daß Harry wußte, wovon er sprach — es sei denn, er war paranoid.
Die beiden führten die Ehe zweier berufstätiger Menschen, die ganz für das Buch lebten. Ich hatte den Verdacht, daß sie ihre Manuskripte mit ins Bett nahmen — Claire eines, an dem sie schrieb, und Harry eines, das er las. Ihre Ehe war wie so viele dieser Art kinderlos, und ich hatte immer den Eindruck, daß sie glücklich waren und zueinander standen. Bis die Gerüchte aufkamen, die Harry nun bestätigt hatte.
»Was werden Sie jetzt tun?« fragte ich.
»Mich scheiden lassen«, knurrte Harry und zog zwei neue Minifläschchen hervor.
»Ist Claire einverstanden?«
»Das möchte ich ihr sehr raten«, sagte er und senkte die Stimme, bis sie fast ein Flüstern war. Es war, als spräche er mit sich selbst, als wäre ich im Grunde gar nicht mehr da.
Und dann kam das Seltsamste von allem: »Claire ist... zu allem fähig.«
Über Parker Foxcroft sagte er nur: »Ich bin froh, daß der Scheißkerl tot ist«, und das überraschte mich kein bißchen. Nach dieser Bemerkung verfiel er in Schweigen, bis der Zug in den Bahnhof von Stamford einfuhr. Harry erhob sich unsicher, nahm seinen Aktenkoffer, murmelte einen Gruß und stieg aus.
Wieder daheim, wieder daheim, wo’s am schönsten ist, wie mein Vater immer sagte, wenn der Familien-Cadillac sich der Zufahrt zu unserem Anwesen an der Kellog Hill Road näherte. Harry Dennehy, das Faktotum meiner Mutter, holte mich am Bahnhof in Westport ab und fuhr mich schweigsam und sicher wie immer nach Hause. Nach einer kurzen, nicht unfreundlichen Begrüßung behielt er alle Ratschläge, die er möglicherweise hatte, für sich.
Als ich ankam, war es fast sieben Uhr, und mir blieb vor dem Abendessen nur noch Zeit für einen trockenen Rob Roy und ein paar Cracker mit Roquefort. Mein jüngerer Bruder Tim glitt in seinem Rollstuhl ins Eßzimmer. Meine Mutter Gertrude saß wie immer am Kopfende der Tafel. Es waren keine Gäste da, was mich ziemlich erleichterte, denn mir war nicht nach Gesellschaft zumute, schon gar nicht nach der Gesellschaft von Menschen, die ich noch nicht kannte. Als Entree gab es rohe Austern (ich habe noch nie viel auf den Aberglauben gegeben, man dürfe sie nur in den Monaten mit »R« essen), danach gebratenes Perlhuhn mit neuen Kartoffeln und Karotten in einer leichten Sauce, dazu einen guten, frischen Sancerre. Als die Köchin den Tisch abgeräumt hatte, seufzte ich zufrieden, tupfte mir den Mund mit der Serviette ab und wollte aufstehen. Meine Mutter bedeutete mir sitzen zu bleiben.
»Ja, Mutter?« Obwohl ich alt genug bin, der Herr des Hauses zu sein, benehme ich mich ihr, der grande dame, gegenüber noch immer wie ein Schuljunge.
»Nicholas«, sagte sie, ein wenig brüsk, wie ich fand, »wir müssen uns beraten.«
»Jetzt?« Das Bild eines handwarmen Cognacschwenkers erschien vor meinem geistigen Auge und entschwand.
» Jetzt .«
Wenn meine Mutter, Tim und ich uns zusammensetzen, ist das wie eine Aktionärsversammlung von Barlow & Company. Meine Mutter besitzt einundfünfzig Prozent der Anteile, ich vierunddreißig und Tim fünfzehn. Obgleich ich Präsident und geschäftsführender Direktor des Verlages bin und alle alltäglichen Entscheidungen treffe, ist meine Mutter die Aufsichtsratsvorsitzende, während Tim Vizepräsident und Geschäftsführer ist und unser Buchhalter Mortimer Mandelbaum als Finanzverwalter fungiert. Wir haben hin und wieder darüber nachgedacht, an die Börse zu gehen, aber entweder war die allgemeine wirtschaftliche Situation ungünstig, oder wir hatten keine Lust, uns von Außenstehenden in unsere Entscheidungen hereinreden zu lassen. Ich lege keinen Wert darauf, meine verlegerischen Entscheidungen mit einem älteren Herrn aus New Jersey oder einer Dame mittleren Alters aus Miami Beach zu diskutieren. Nicht daß diese Entscheidungen immer richtig sind — ganz und gar nicht. Aber mir ist es lieber, meine Fehler selbst zu machen und dafür nur meiner Familie verantwortlich zu sein.
»Wir müssen über den Kreditrahmen der Bank sprechen«, sagte meine Mutter.
Darauf war ich vorbereitet.
Weitere Kostenlose Bücher