Der Bestseller
fragte mein Retter.
»Ja, ich glaube, es ist nur ein Kratzer.« Ich strich mit der Hand über meine Wange und merkte, daß ich Blut an den Fingern hatte.
Dann sahen wir uns an, was da aus der Gott weiß wievielten Etage gefallen war. Es war eine schwere Urne aus Stein, ähnlich wie die, in denen man die Asche von Verstorbenen aufbewahrt. Diese allerdings war leer gewesen, was mich sehr erleichterte — ich wäre nur ungern von den sterblichen Überresten eines Menschen erschlagen worden.
Ich sah den Mann an, der mich aus der Flugbahn der Urne gezogen hatte. Er war klein, untersetzt und hatte eine fast birnenförmige Statur. Die Augen hinter den dicken Brillengläsern zwinkerten unablässig. Trotz der Hitze trug er einen Filzhut — ich vermutete, daß er darunter eine Glatze verbarg.
»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll«, sagte ich. »Du lieber Himmel, das war knapp.«
»Sie brauchen sich nicht zu bedanken.« Er legte seine Hand auf meinen Arm — diesmal war es eine leichte, besorgte Bewegung. »Wirklich alles in Ordnung?«
»Ja, danke.«
»Ja, dann...« Er nickte, legte einen Finger an die Hutkrempe und wollte weitergehen.
»Warten Sie«, sagte ich. »Sagen Sie mir bitte, wem ich mein Leben verdanke.«
»Aber gern.« Er zog ein Lederetui hervor, entnahm ihm eine Visitenkarte und überreichte sie mir. »Mein Name ist Flitcraft, Homer B. Flitcraft, aus Spokane in Washington. Ich bin Grundstücksmakler.«
»Mr. Flitcraft«, sagte ich, »ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich mich freue, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben. Wie...«
Ich wollte sagen: >Wie kann ich Ihnen danken?<, oder so etwas in der Art, aber er sprach den Satz für mich zu Ende.
»Wie das passiert ist? Es war pures Glück, daß ich hier vorbeikam und gerade nach oben sah, während Sie nach unten sahen. Ich sah dieses Ding fallen und hab Sie zur Seite gezogen. Das hätte wohl jeder getan, meinen Sie nicht auch? Schönen Abend noch.«
Und damit ging er weiter. Ich sah mir seine Karte genauer an. »Homer B. Flitcraft, Grundstücksmakler«, und dann seine Adresse, Telefon- und Faxnummer. Ein komischer kleiner Mann, den mir der Himmel da geschickt hatte.
Was konnte ich tun, um mich bei ihm zu bedanken? Ihm eines meiner Bücher schicken? Vielleicht war er kein Leser. Na ja, wenn ich jemals nach Spokane kam...
Aber was sollte ich in Spokane?
Und warum fiel eine Urne ausgerechnet dort zu Boden, wo ich stand?
Ich tupfte meine Wange mit einem Taschentuch ab und ging weiter.
Wenn es ein Unfall gewesen war, dann ein sehr ungewöhnlicher. Mal angenommen, es war kein Unfall gewesen. Was sollte ich dann davon halten? Nick Barlow, ein regelrechter Glückspilz, wie Artie, der Polizist, sich ausgedrückt hatte.
Am Wochenende fuhr ich nach Connecticut und brachte meine Mutter und Tim auf den neuesten Stand. Ich tat mein Bestes, den Überfall mit der Schrotflinte und den Unfall mit der Urne herunterzuspielen.
Zu dem Überfall hatte meine Mutter, wie üblich, eine Theorie.
»Diese Spitzbuben wollten bestimmt nicht beim Juwelenhändler, sondern bei uns einbrechen.«
»Ich kann dir nicht folgen, Mutter.«
»Der Einbruch bei ihm war nur ein Täuschungsmanöver. Sie wollten bestimmt etwas bei uns stehlen. Ja, das muß der Grund gewesen sein. Wahrscheinlich etwas aus Mr. Foxcrofts Büro, etwas, das mit dem Mord zu tun hat.«
»Wie zum Beispiel?«
» Hmpf! Du kannst doch wohl nicht erwarten, daß ich das in allen Einzelheiten vor dir ausbreite, oder?« Sie schnaubte abermals. »Den Rest der Antworten werden du oder die Polizei schon selbst herausfinden müssen.«
Mutters Theorie erschien mir so löchrig wie ihre Spitzendeckchen, doch wie immer verkniff ich es mir, das geradeheraus zu sagen. In Connecticut ist mir der häusliche Frieden wichtiger als ein kleiner Sieg — im Gegensatz zu New York, wo ich so aggressiv wie jeder andere bin, vorausgesetzt, dieser andere steht nicht mit einem Klappmesser in einem dunklen Hauseingang.
Zu der Sache mit der Urne war Tims erste Frage: »War es eine griechische?«
Auch diese Frage schien mir keiner Antwort würdig.
Als ich mit Tim in seiner Suite im ersten Stock saß, gestand ich ihm, daß die Flinte und die Urne mich geschockt hatten.
»Was den Einbruch betrifft — da war ich wahrscheinlich bloß zur falschen Zeit am rechten Ort. Aber die Urne galt anscheinend wirklich mir. Das denke ich jedenfalls, auch wenn ich mich damit irre — vielleicht war auch das nur ein Unfall. Was meinst du,
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