Der Bestseller
arbeiteten uns durch Berge von Papier und sichteten so ziemlich alles, was dieser Mann je niedergeschrieben hatte. Manches war Gift, manches war Honig. Als sein »literarischer Nachlaßverwalter« wußte ich nicht recht, was ich mit dem Zeug tun sollte, das wir lasen und beiseite legten. Würde irgend jemand das haben wollen? Konnte ich es verschenken? Mir kam es so vor, als hätte Parker den Wert seiner Briefe und Notizen überschätzt. Ich beschloß, dem Problem fürs erste auszuweichen, indem ich alles, was nicht auf dem Boden gelandet war, wo sich immerhin ein kleiner Haufen gebildet hatte, in Versandkartons packte. Ich würde später entscheiden, was damit geschehen sollte. Doch auch die schwerste Arbeit hat einmal ein Ende, und dieses hier kam etwa zur Cocktailzeit.
»Gott sei Dank«, sagte ich.
»Amen«, antwortete Poole. »Haben wir alles?«
»Ich hoffe es inständig.«
»Und was haben wir?«
»Soweit ich es sagen kann, nichts. Wenn man sich die Ablehnungsbriefe ansieht, hat man eine Million Verdächtige, aber keinen Hinweis. Zu dumm, daß er nicht eine Art Tagebuch geführt hat.«
»Tja«, sagte Poole, »aber wenigstens sind wir nicht zurückgeworfen worden.«
»Übrigens«, sagte ich, »wir waren so sehr mit Parkers Zeug beschäftigt, daß wir gar nicht über Ihr Buch gesprochen haben.«
»Über Pan im Zwielicht ?«
»Nein, über Ihren Kriminalroman. Den Sie für mich schreiben wollen.«
Er lachte. Eigentlich war es eher ein Schmunzeln als ein Lachen, aber die Wendung »Er schmunzelte« hat mir noch nie gefallen. Er klingt nicht ernst genug.
»Ich würde gerne darüber sprechen«, sagte Poole. »Bis jetzt habe ich nur die Idee, aber langsam nimmt das Buch in meinen Gedanken Gestalt an.«
»Gut. Erzählen Sie mir davon.«
Aus verschiedenen Gründen fühlte ich mich in Parkers Zimmer nicht mehr sehr wohl — wenn ich mich dort überhaupt je wohl gefühlt hatte — , und so winkte ich Poole, mir zu folgen, und ging in mein Büro. Nicht daß ich Parkers Gegenwart in seinem Zimmer gespürt hätte — nein, nein, er ging dort nicht um. Gott sei Dank nicht. Schließlich handelte es sich um ein teures Stück Bürofläche, und ich konnte es mir nicht leisten, es noch viel länger leerstehen zu lassen. Trotzdem konnte ich nicht vergessen, daß ich dort seine Leiche gefunden hatte. Die Blutspuren waren entfernt worden, doch die Erinnerung an diesen Augenblick war noch immer sehr stark. Einen gewaltsamen Tod kann man nicht einfach beiseite schieben oder vergessen — auch wenn Susan Markham fand, man solle die Toten ruhen lassen.
»Dann erzählen Sie mal«, sagte ich, als wir es uns in den Ledersesseln in meinem holzgetäfelten und mit Büchern ausgekleideten Zimmer gemütlich gemacht hatten. »Was schwebt Ihnen vor?«
»Ich habe über das nachgedacht, was Sie über das Genre des Kriminalromans gesagt haben«, begann er. »Daß ein Krimi im Grunde ein Fantasy-Roman ist. Ich glaube, Sie haben recht. Größtenteils jedenfalls.«
»Keine Regel ohne Ausnahme«, sagte ich.
Poole stand auf und begann auf und ab zu gehen.
»Erinnern Sie sich an den Fall Casolaro?«
Ich dachte nach. »Vage. Ich glaube, es ging um einen Journalisten.«
»Das war vor ein paar Jahren«, fuhr Poole fort. »Joseph Casolaro war ein freier Journalist, der an einem Artikel über ein krummes Ding arbeitete, hinter dem vermutlich die Regierung steckte. Er hatte in einem Fall recherchiert, in dem die Eigentümer einer Software-Firma dem Justizministerium vorwarfen, bestimmte, von dieser Firma entwickelte Computerprogramme gestohlen zu haben, mit denen sich weltweit Daten über Verbrechen sammeln lassen. Das Justizministerium wies alle Vorwürfe zurück und ging gerichtlich gegen die Software-Firma vor.«
»Ich erinnere mich, etwas darüber gelesen zu haben. Casolaro war vielleicht kurz davor, eine gewaltige Verschwörung von den Ausmaßen eines Watergate zu enthüllen. Und dann wurde er tot in einem Motel in West Virginia aufgefunden.«
»Genau. Die Behörden sagten, es sei ein Selbstmord gewesen, weil es nach einem Selbstmord aussah. Aber er hatte seinem Bruder zwei Monate vor seinem Tod gesagt: >Wenn ich durch einen Unfall ums Leben komme, dann war es kein Unfall.< Außerdem hatte er Morddrohungen bekommen, und obwohl er ein Mann war, der gewissenhaft recherchierte, fand man in dem Motelzimmer keinerlei Notizen.«
»Sie glauben also, daß er umgebracht wurde?«
Poole blieb stehen, stützte die Hände auf meinen Schreibtisch und
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