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Der Besuch der alten Dame

Der Besuch der alten Dame

Titel: Der Besuch der alten Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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aufgehoben, mein Zauberhexchen. Hätte uns doch das Leben nicht getrennt.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Das wünschest du?
    ILL Dies, nur dies. Ich liebe dich doch! Er küßt ihre rechte Hand. Dieselbe kühle weiße Hand.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Irrtum. Auch eine Prothese. Elfenbein.
    ILL läßt entsetzt ihre Hand fallen Klara, ist denn überhaupt alles Prothese an dir!
    CLAIRE ZACHANASSIAN Fast. Von einem Flugzeugabsturz in Afghanistan. Kroch als einzige aus den Trümmern. Bin nicht umzubringen.
    DIE BEIDEN BLINDEN Nicht umzubringen, nicht umzubringen.

    Blasmusik ertönt, feierlich getragen. Der Wirtshausapostel senkt sich wieder herunter. Die Güllener tragen Tische herein, die Tischtücher erbärmlich zerfetzt. Gedeck, Speisen, ein Tisch in der Mitte, einer links und einer rechts, parallel zum Publikum. Der Pfarrer kommt aus dem Hintergrund. Weitere 14
    Güllener strömen herein, einer im Turnerleibchen. Der Bürgermeister, der Arzt, der Lehrer, der Polizist erscheinen wieder. Die Güllener klatschen Beifall. Der Bürgermeister kommt zur Bank, wo Claire Zachanassian und Ill sitzen, die Bäume sind wieder zu Bürgern geworden und haben sich nach hinten begeben.

    DER BÜRGERMEISTER Der Beifallssturm galt Ihnen, verehrte gnädige Frau.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Er gilt der Stadtmusik, Bürgermeister. Sie bläst vortrefflich, und vorhin die Pyramide des Turnvereins war wunderschön.

    Auf einen Wink des Bürgermeisters hin präsentiert sich der Turner den Anwesenden.

    CLAIRE ZACHANASSIAN Ich liebe Männer in Leibchen und kurzen Hosen. Sie sehen so natürlich aus.
    Turnen Sie nochmal. Schwingen Sie jetzt die Arme nach hinten, Herr Turner, und dann gehen Sie in den Liegestütz.

    Der Turner befolgt ihre Anweisungen.

    CLAIRE ZACHANASSIAN Wundervoll, diese Muskeln! Haben Sie schon jemanden erwürgt mit Ihren Kräften?

    Der Turner in Liegestützstellung sinkt vor Verwunderung auf die Knie.

    DER TURNER Erwürgt?
    ILL lachend Einen goldenen Humor besitzt die Klara! Zum Totlachen, diese Bonmots!
    DER ARZT Ich weiß nicht! Solche Späße gehen durch Mark und Bein.

    Turner nach hinten.

    DER BÜRGERMEISTER Darf ich Sie zum Tisch begleiten? Er führt Claire Zachanassian zum Tisch in der Mitte, stellt ihr seine Frau vor. Meine Gattin.
    CLAIRE ZACHANASSIAN betrachtet die Gattin durch ihr Lorgnon Annettchen Dummermuth, unsere Klassen-erste.

    Ill holt seine Frau, sie ist ausgemergelt, verbittert.

    CLAIRE ZACHANASSIAN Mathildchen Blumhard. Erinnere mich, wie du hinter der Ladentüre auf Alfred lauertest. Mager bist du geworden und bleich, meine Gute.
    ILL heimlich Millionen hat sie versprochen!
    DER BÜRGERMEISTER schnappt nach Luft Millionen?
    ILL Millionen.
    DER ARZT Donnerwetter.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Nun habe ich Hunger, Bürgermeister.
    DER BÜRGERMEISTER Wir warten nur auf Ihren Gatten, gnädige Frau.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Sie brauchen nicht zu warten. Er angelt, und ich lasse mich scheiden.
    DER BÜRGERMEISTER Scheiden?
    CLAIRE ZACHANASSIAN Auch Moby wird sich wundern. Heirate einen deutschen Filmschauspieler.
    DER BÜRGERMEISTER Aber Sie sagten doch, sie führten eine glückliche Ehe!
    CLAIRE ZACHANASSIAN Jede meiner Ehen ist glücklich. Aber es war mein Jugendtraum, im Güllener Münster getraut zu werden. Jugendträume muß man ausführen. Wird feierlich werden.

    Alle setzen sich. Claire Zachanassian nimmt zwischen dem Bürgermeister und Ill Platz. Neben Ill sitzt Frau Ill und neben dem Bürgermeister dessen Gattin. Rechts hinter einem anderen Tisch der Lehrer, der Pfarrer und der Polizist, links die Vier. Weitere Ehrengäste mit Gattinnen im Hintergrund, wo das Spruchband leuchtet: Willkommen Kläri. Der Bürgermeister steht auf, freudestrahlend, schon die Serviette umgebunden, und klopft an sein Glas.

    15

    DER BÜRGERMEISTER Gnädige Frau, meine lieben Güllener. Es sind jetzt fünfundvierzig Jahre her, daß Sie unser Städtchen verlassen haben, welches vom Kurfürsten Hasso dem Noblen gegründet, so
    freundlich zwischen dem Konradsweilerwald und der Niederung von Pückenried gebettet liegt.
    Fünfundvierzig Jahre, mehr als vier Jahrzehnte, eine Menge Zeit. Vieles hat sich inzwischen ereignet, viel Bitteres. Traurig ist es der Welt ergangen, traurig uns. Doch haben wir Sie, gnädige Frau - unsere Kläri - Beifall - nie vergessen. Weder Sie, noch Ihre Familie. Die prächtige, urgesunde Mutter, die ganz in ihrer Ehe aufging - Ill flüstert ihm etwas zu - leider allzufrüh entschwunden, der volkstümliche Vater, der beim Bahnhof

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