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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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verfiel. Stattdessen empfand sie, wie sie mir später eingestand, im ersten Moment sogar eine Art wilde, freudige Erregung. Sie musste an all die Probleme denken, die mit einem Schlag gelöst wären, wenn Hundreds Hall niederbrannte. Sie sah die ganze Arbeit vor sich, die sie in den letzten Jahren am Haus verrichtet hatte – die Holzböden und Wandvertäfelungen, die sie poliert hatte, die Glasflächen und Vergoldungen –, und statt das Feuer zu fürchten, weil es ihr diese Dinge zu entreißen drohte, hätte sie am liebsten kampflos aufgegeben und alles den Flammen überlassen.
    Doch dann dachte sie an ihren Bruder. Sie riss den Kaminvorleger vom Boden, nahm hastig die Decken von ihrem Bett und rannte die Treppe hinunter, während sie laut nach ihrer Mutter schrie. Unten in der Eingangshalle roch es stärker nach Rauch, im Korridor war die Luft schon trübe und stach ihr in den Augen. Sie rannte durch die Stiefelkammer in die angrenzende Toilette, um den Vorleger und die Decken mit Wasser zu tränken. Sie griff nach der Dienstbotenklingel und läutete wie wild daran, wahrscheinlich ähnlich, wie ich einige Stunden zuvor Roderick läuten gehört hatte. Beladen mit den triefenden Decken, taumelte sie wieder in den Flur hinaus und traf auf Betty, die mit erschrockenem Gesicht, barfüßig und im Nachthemd, im Bogendurchgang zum Dienstbotentrakt erschien.
    »Hol Wasser!«, rief Caroline ihr zu. »Es brennt! Riechst du’s denn nicht? Hol dein Bettzeug – hol irgendwas zum Löschen! Schnell!«
    Und dann lief sie, die nassen Decken vor die Brust gepresst, keuchend und schwitzend in Rodericks Zimmer.
    Noch bevor sie die Tür geöffnet hatte, begann sie zu husten und nach Luft zu schnappen. Als sie dann eintrat, war der Rauch so dicht und beißend, dass sie sich an den Gasübungsraum erinnert fühlte, in den man sie während ihrer Zeit bei den Wrens mal geschickt hatte. Damals hatte sie natürlich ein Atemschutzgerät dabeigehabt; der Sinn der Übung war ja gerade gewesen zu lernen, wie man es richtig anlegte. Nun dagegen blieb ihr nichts anderes übrig, als Mund und Nase in das feuchte Bündel auf ihren Armen zu pressen und sich durch das Zimmer zu kämpfen. Es herrschte bereits eine unglaubliche Hitze. An zahlreichen Stellen konnte sie Flammen sehen. Überall schien Feuer zu sein, so dass sie einen Moment lang schon glaubte, sie müsse sich geschlagen geben und wieder umdrehen. Dann drehte sie sich tatsächlich um – und geriet in Panik. Dicht neben sich sah sie plötzlich Flammen und schlug wild mit den Decken danach. Einen weiteren Brandherd schlug sie mit dem Vorleger aus und merkte dann, dass inzwischen auch Betty und ihre Mutter aufgetaucht waren und mit Decken gegen das Feuer kämpften. Dichte Rauchschwaden stiegen empor, und als der Rauch sich für kurze Zeit etwas lichtete, sah sie Roderick benommen auf dem Bett liegen. Er hustete und schien gerade erst zu sich zu kommen. Zwei der Brokatvorhänge vor den Fenstern standen in Flammen, zwei weitere waren fast gänzlich verbrannt und kurz davor herabzufallen. Sie schaffte es, sich einen Weg dorthin zu bahnen, griff zwischen die brennenden Vorhänge und riss die Glastüren auf.
    Ich schauderte, als sie mir das erzählte, denn wäre das Feuer im Zimmer noch stärker gewesen, hätte der plötzliche Luftzug sicherlich fatale Folgen gehabt. Doch zu diesem Zeitpunkt waren die Flammen wohl schon einigermaßen unter Kontrolle, und die Nachtluft war glücklicherweise feucht. Caroline zerrte Roderick nach draußen auf die Steinstufen der Terrasse und lief dann wieder zurück, um ihrer Mutter zu helfen. Der Rauch wurde schwächer, erzählte sie, doch das Zimmer erinnerte an ein Bildnis der Hölle: Es war unvorstellbar heiß, an etlichen Stellen brannten kleine Feuer und Glutherde, und Flammenzungen schienen unverhofft ihr Gesicht und ihre Hände attackieren zu wollen. Mrs. Ayres hustete und rang nach Luft; ihr Haar war zerzaust und ihr Nachthemd schmutzig. Betty hatte angefangen, Töpfe mit Wasser hereinzutragen, und rasch verwandelten sich Asche und schwelende Überreste von Teppichen, Decken und Papieren in schwarze Schlammpfützen.
    Vermutlich arbeiteten sie erheblich länger in dem Zimmer, als nötig gewesen wäre, denn zunächst hatten sie einen Flammenherd einfach nur ausgeschlagen und dann feststellen müssen, dass er, kaum hatten sie ihm den Rücken gekehrt, nach einiger Zeit wieder anfing zu glühen. Deshalb gingen sie danach kein Risiko mehr ein und kämpften sich

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