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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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eben herausgefunden.«
    »Er hat die Beiträge nicht mehr gezahlt?«
    »Offenbar schon seit Monaten nicht mehr. Um Geld zu sparen.« Sie schloss die Augen und schüttelte langsam den Kopf, dann ging sie zur Terrassentür. »Kommen Sie doch bitte mal kurz mit nach draußen.«
    Wir gingen die Steinstufen hinunter, und ich betrachtete die beschädigten Möbel: den verkohlten Schreibtisch, den Lehnstuhl, dessen Lederbezug verbrannt war, so dass Rosshaarfüllung und Sprungfedern frei lagen wie Knochen und innere Organe bei einem anatomischen Modell. Es war ein trostloser Anblick. Obwohl es nicht regnete, war es ein kalter Tag, und ich sah, wie Caroline zitterte. Da ich sie und Betty ebenso wie ihre Mutter und ihren Bruder untersuchen wollte, bat ich sie, mich wieder ins Haus zu begleiten, in den kleinen Salon oder an einen anderen warmen Ort. Doch nach kurzem Zögern vergewisserte sie sich noch einmal mit einem Blick, ob niemand uns hören konnte, dann zog sich mich weiter von der geöffneten Terrassentür weg. Sie hustete wieder und verzog beim Schlucken das Gesicht.
    Dann sagte sie mit leiser Stimme: »Sie haben doch gestern mit Mutter gesprochen. Hat sie Ihnen gegenüber irgendeine Andeutung gemacht, wie das Feuer entstanden sein könnte?«
    Sie blickte mich ernst an. Ich erwiderte: »Sie hat mir bloß erzählt, dass der Brand in Rods Zimmer ausgebrochen ist, nachdem Sie alle ins Bett gegangen waren, und dass Sie ihn entdeckt und gelöscht haben. Ich hatte angenommen, dass Rod in seinem betrunkenen Zustand mit seinen Zigaretten unachtsam war.«
    »Das haben wir auch gedacht«, sagte sie. »Zuerst jedenfalls.«
    Ich wunderte mich über ihren Nachsatz. Misstrauisch fragte ich: »An was kann sich Rod denn selbst noch erinnern?«
    »An gar nichts.«
    »Ich vermute, er war einfach weggetreten, und dann …? Könnte er später wieder aufgewacht und dann zum Feuer gegangen sein und einen Holzspan angezündet haben?«
    Sie schluckte wieder; das Schlucken schien ihr Mühe zu bereiten. Dann erwiderte sie: »Ich weiß es nicht. Ich weiß einfach nicht, was ich denken soll.« Sie nickte in Richtung Fenster. »Haben Sie sich mal den Kamin angeschaut?«
    Ich blickte ins Zimmer und sah, dass der Funkenschutz vor den Kamin gezogen war. »Genauso war es auch, als ich Rods Zimmer verlassen hatte, ein paar Stunden bevor das Feuer ausbrach«, sagte Caroline. »Als ich reinging, war der Kamin dunkel, als wäre niemand dran gewesen. Aber die vielen anderen Brandherde … Ich muss dauernd daran denken. Es gab nicht bloß einen. Da waren bestimmt fünf oder sechs Stellen, an denen es brannte.«
    »So viele?«, fragte ich entgeistert. »Dann ist es ja fast ein Wunder, Caroline, dass keiner von Ihnen schlimmeren Schaden genommen hat!«
    »Das meine ich gar nicht … Bei den Wrens hat man uns auch etwas über Brände beigebracht. Sie haben uns erzählt, wie sich Feuer ausbreitet. Es kriecht, aber es springt nicht von einer Stelle zur anderen. Doch diese Feuer – die waren eher wie einzelne kleine Brandherde. So als ob sie einzeln angezündet worden wären. Sehen Sie sich nur Rods Sessel an – es sieht aus, als sei das Feuer mitten auf der Sitzfläche ausgebrochen; die Beine sind überhaupt nicht betroffen. Genauso ist es auch bei dem Schreibtisch und dem anderen Tisch. Und diese Vorhänge.« Sie hob die Brokatvorhänge hoch, die durch das Feuer von ihren Ringen gerissen worden waren und nun über der Lehne des zerstörten Sessels lagen. »Schauen Sie mal, sie haben hier, in der Mitte, angefangen zu brennen. Wie kann das sein? Die Wände zu beiden Seiten sind nur leicht versengt. Es ist gerade so, als ob …« Sie warf wieder einen prüfenden Blick ins Zimmer, aus Angst, man könnte sie hören. »Es ist eine Sache, ob Rod unachtsam mit einer Zigarette oder Kerze war. Nur das hier sieht gerade so aus, als ob diese Feuer entzündet worden sind. Absichtlich gelegt, meine ich.«
    »Sie glauben, dass Rod …?«, fragte ich entsetzt.
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte sie rasch. »Ich weiß es einfach nicht. Aber ich habe lange über das nachgedacht, was er Ihnen neulich in Ihrer Praxis erzählt hat. Und diese Flecken, die wir an seinen Wänden gefunden haben – das waren Brandflecken, oder? Meinen Sie nicht? Nun ergeben sie einen Sinn – wenn auch einen ziemlich schrecklichen. Und da ist noch etwas.«
    Und dann erzählte sie mir von dem eigenartigen Vorfall in der Küche, als sich das Zeitungsknäuel hinter Rod offenbar selbst entzündet hatte.

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