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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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mit, und schauen Sie es sich selbst an.« Sie führte mich durch den Nordkorridor. »Der Geruch hängt im ganzen Haus, bis in den Dachboden hinauf. Machen Sie sich keine Sorgen wegen Ihrer schlammigen Schuhe, dieses Stockwerk haben wir im Moment sowieso aufgegeben. Aber passen Sie auf, dass Sie nicht mit dem Jackett an die Wände kommen; der Ruß ist unglaublich klebrig.«
    Die Tür zu Rods Zimmer stand offen, und während wir näher kamen, konnte ich schon genug sehen, um mich innerlich auf die Verwüstung vorzubereiten, die dahinter lag. Doch als Caroline eintrat, verharrte ich trotzdem einen Augenblick entsetzt an der Türschwelle. Mrs. Bazeley, die gemeinsam mit Betty im Zimmer die Wände abwusch, nickte mir grimmig zu.
    »Ja, Herr Doktor, Sie schauen genauso drein wie ich, als ich gestern Morgen gekommen bin. Und dabei sieht’s jetzt schon längst nicht mehr so schlimm aus. Gestern haben wir bis zu ’n Knöcheln im Dreck gestanden, was, Betty?«
    Der überwiegende Teil der Möbel war aus dem Zimmer getragen worden und stand kreuz und quer draußen auf der Terrasse, vor den geöffneten Flügeltüren. Auch der Teppich war zusammengerollt und nach draußen geschafft worden. Auf den breiten Bodendielen lagen Zeitungen ausgebreitet, doch die Dielen waren immer noch so nass und rußig, dass sich das Papier in eine dicke graue Pampe verwandelt hatte. Dort, wo Mrs. Bazeley und Betty mit dem Schrubben beschäftigt waren, lief aschegraues Wasser über die Wände. Die Holzvertäfelung war kohlschwarz versengt, und auch die Zimmerdecke, jene berüchtigte Decke aus Gitterwerk, war vollkommen schwarz – von den geheimnisvollen Flecken war nichts mehr zu erkennen.
    »Das ist einfach unglaublich!«, sagte ich zu Caroline. »Ich hatte ja keine Ahnung. Wenn ich das gewusst hätte …«
    Ich beendete meinen Satz nicht, denn ob ich es nun gewusst hätte oder nicht – es tat nichts zur Sache; ich hätte ohnehin nichts mehr ändern können. Doch der Gedanke, dass der Familie in meiner Abwesenheit etwas so Gefährliches hatte zustoßen können, beunruhigte mich zutiefst. »Das ganze Haus hätte abbrennen können«, sagte ich. »Nicht auszudenken! Und Rod war hier – mitten hier drinnen? Ist er wirklich in Ordnung?«
    Sie blickte mich irgendwie merkwürdig an, dann schaute sie zu Mrs. Bazeley hinüber.
    »Ja, alles in Ordnung. Er hat nur ein bisschen Probleme mit dem Atmen, so wie wir anderen auch. Allerdings hat er den Großteil seiner Sachen verloren. Sein Sessel – da draußen steht er – hat offenbar am meisten von dem Feuer abbekommen, und dann noch sein Schreibtisch und der Tisch.«
    Ich schaute durch die geöffnete Tür nach draußen und sah den Schreibtisch. Die Beine und Schubladen wirkten noch einigermaßen unbeschädigt, doch die Tischplatte war so verkohlt und rissig, als hätte jemand ein Lagerfeuer auf ihr entzündet. Plötzlich wurde mir auch klar, weshalb im Zimmer so viel Asche war. »Seine Papiere!«, rief ich aus.
    Caroline nickte resigniert. »Ja, die waren wahrscheinlich das Trockenste in diesem ganzen Haus.«
    »Sind denn wenigstens ein paar davon verschont geblieben?«
    »Einige wenige. Ich habe keine Ahnung, was alles verbrannt ist. Ich weiß nicht, was er alles in seinem Zimmer aufbewahrte. Es gab doch sicher Pläne vom Haus und vom Grundstück, oder? Alle möglichen Karten und Zeichnungen, Kopien der Besitzurkunden und Grundbucheinträge, Briefe und Rechnungen; Aufzeichnungen meines Vaters …« Ihre Stimme wurde heiser, und sie hustete wieder.
    »Was für ein Jammer, das ist ja furchtbar!«, sagte ich. Während ich mich umblickte, entdeckte ich immer mehr Schäden: ein verkohltes Gemälde an der Wand, Lampen mit geschwärztem Kristallschmuck. »Das schöne Zimmer! Was werden Sie jetzt damit machen? Kann man es noch retten? Ich denke, die beschädigten Wandpaneele ließen sich sicher austauschen. Und die Decke kann man wieder tünchen.«
    Sie zuckte düster mit den Achseln. »Mutter meint, dass wir das Zimmer nach dem Reinigen genauso gut dichtmachen können, genau wie die anderen Räume. Wir haben ganz sicher nicht das Geld, es renovieren zu lassen.«
    »Ist denn kein Geld von der Versicherung zu erwarten?«
    Sie warf wieder einen prüfenden Blick zu Mrs. Bazeley und Betty hinüber. Die beiden waren immer noch damit beschäftigt, die Wände abzuschrubben, und unter dem kratzenden Geräusch der Bürsten sagte Caroline leise: »Rod hat die Zahlungen an die Versicherung eingestellt. Das haben wir gerade

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