Der Besucher - Roman
mir, dass seine Mutter recht hatte: Keine Belastung, egal wie groß sie auch sein mochte, konnte das erklären. Die Wurzel musste irgendwo anders liegen.
Ich kehrte wieder an sein Bett zurück und sah ihn an, doch schließlich musste ich den Blick abwenden und mich geschlagen geben. »Ich muss jetzt gehen, Rod«, sagte ich. »Ich wünschte bei Gott, es wäre nicht so. Darf ich Caroline zu Ihnen schicken?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, das dürfen Sie auf keinen Fall.«
»Kann ich denn sonst noch irgendetwas für Sie tun?«
Er blickte mich an und überlegte. Und als er wieder sprach, hatte sich seine Stimme verändert; plötzlich war er so höflich und entschuldigend wie der Schuljunge, den ich mir soeben ausgemalt hatte. Er sagte: »Würden Sie mir vielleicht eine Zigarette geben? Ich darf nicht rauchen, wenn ich allein bin. Aber wenn Sie bei mir bleiben, während ich rauche, wird es doch gehen, oder?«
Ich gab ihm eine Zigarette und zündete sie ihm an, denn er wollte es nicht eigenhändig tun; ja, er kniff sogar die Augen zusammen und bedeckte das Gesicht, während ich das Streichholz anzündete. Dann saß ich bei ihm, während er mit leicht keuchendem Atem die Zigarette aufrauchte. Als er fertig war, gab er mir den Stummel, damit ich ihn mitnehmen konnte. »Sie haben hoffentlich nicht aus Versehen Ihre Streichhölzer liegenlassen?«, fragte er besorgt, als ich mich erhob. Ich musste ihm erst die Schachtel zeigen und sie ostentativ in meine Hosentasche zurückstecken, ehe er mich gehen ließ.
Und das Bewegendste war, dass er noch darauf bestand, mich zur Tür zu begleiten, um sich zu vergewissern, dass ich sie auch wieder ordentlich von außen zugeschlossen hatte. Ich ging zweimal raus; das erste Mal nahm ich seinen Nachttopf mit ins Badezimmer, um ihn dort auszuspülen; doch selbst für diesen kurzen Weg bestand er darauf, dass ich ihn einschloss, und als ich zurückkehrte, drückte er sich hinter der Tür herum, als sei er von dem Kommen und Gehen beunruhigt. Ehe ich dann zum zweiten Mal ging, nahm ich seine Hand – doch wieder schien die Verzögerung ihn bloß zu beunruhigen, denn seine Finger lagen schlaff in meinen, und sein Blick wanderte nervös von meinem Gesicht weg. Als ich die Tür dann endlich schloss, tat ich das sehr kräftig und drehte den Schlüssel betont laut und energisch im Schloss herum, so dass kein Zweifel bestehen konnte, dass ich zugeschlossen hatte. Doch als ich mich mit leisen Schritten entfernte, hörte ich das Schloss knarren, und als ich mich umblickte, sah ich, wie sich die Klinke auf und ab bewegte und die Tür in ihrem Rahmen ruckte. Er vergewisserte sich, dass er auch wirklich nicht herausgelangen konnte. Die Klinke bewegte sich noch zwei- oder dreimal in ihrer Halterung, dann war es still. Das zu sehen, brachte mich beinahe mehr aus der Fassung als alles andere.
Ich gab seiner Mutter den Schlüssel zurück. Sie sah mir an, wie erschüttert ich war. Wir saßen einen Moment lang schweigend in ihrem Zimmer und begannen dann niedergedrückt und mit leiser Stimme die nötigen Vorkehrungen zu besprechen.
Am Ende war es doch eine vergleichsweise einfache Angelegenheit. Zuerst rief ich David Graham hinzu, der bestätigen sollte, dass Rod mit normalen medizinischen Mitteln nicht mehr zu helfen war, und dann kam der Klinikdirektor – ein gewisser Dr. Warren aus Birmingham –, um Rod selbst zu untersuchen und alle notwendigen Papiere mitzubringen. Das geschah am Sonntag jener Woche, vier Tage nach dem Brand; Rod hatte die ganze Zeit über nicht geschlafen, hatte sich all meinen Versuchen, ihn zu sedieren, widersetzt und war mittlerweile in einem beinahe hysterischen Zustand, der offenbar selbst Warren erschreckte. Ich hatte keine Ahnung, wie Rod es aufnehmen würde, dass wir ihn in ein psychiatrisches Krankenhaus einweisen wollten. Zu meiner großen Erleichterung – allerdings in gewisser Weise auch zu meiner Bestürzung – war er auf geradezu Mitleid erregende Weise dankbar. Während er sich verzweifelt an Warrens Hand klammerte, sagte er: »Sie werden mich da doch gut beobachten, oder? Nichts wird aus mir rauskommen, wenn Sie mich im Auge behalten. Und selbst wenn – nun, dann ist es wenigstens nicht meine Schuld, wenn irgendwas passiert oder jemand Schaden nimmt, nicht wahr?«
Seine Mutter war mit im Zimmer, als er so vor sich hin brabbelte. Sie war immer noch schwach und kurzatmig, hatte sich jedoch angezogen, um Dr. Warren zu empfangen. Als ich allerdings merkte,
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